DAS UHLAND-BILD IM STERBEZIMMER BISMARCKS 453
meiner Rede vom 30. November 1907* hatte ich die von mir in meiner
inneren Politik erstrebten Ziele und gleichzeitig Kern und Wesen der Block-
politik in die Worte zusammengefaßt: „Gegenüber dem Spott, der vielfach
an dem Worte von der konservativ-liberalen Paarung geübt worden ist,
möchte ich Ihnen ein Erlebnis erzählen, das zu den tiefsten und dauerndsten
Eindrücken meines Lebens gehört. Als ich im Sterbezimmer des Fürsten
Bismarck stand, diesem einfachen und schmucklosen Zimmer im Sachsen-
walde, fiel mein Blick auf ein Bild, das an der Wand hing. Es war ein Holz-
schnitt, es war das Bild von Ludwig Uhland. Der Sänger des guten alten
Rechts, der Mann, der in der Frankfurter Paulskirche gesagt hatte: es wird
kein Haupt über Deutschland leuchten, das nicht mit einem reichlichen
Tropfen demokratischen Öls gesalbt ist, schaute hinüber nach dem Lager,
wo der große Mann der Tat verschieden war, der dem deutschen Volke
den Traum der Jahrhunderte erfüllt hatte. Die ganze deutsche Geschichte
sprach aus diesem Gegenüber, und nur die Verbindung von altpreußisch-
konservativer Tatkraft und Zucht mit deutschem, weitherzigem liberalem
Geiste kann die Zukunft der Nation zu einer glücklichen gestalten.‘ Am
26. März 1908** hatte ich gegenüber Bebel, der gemeint hatte, es würde
kein Unglück sein, wenn der preußische Staat verschwände, betont: „Das
Reich kann Preußen nicht missen, aber Preußen kann auch das Reich
nicht entbehren. Das ist das segensreiche, das glorreiche Ergebnis der
preußischen und deutschen Geschichte seit 250 Jahren; das ist die Frucht
der Arbeit und der Genialität des Großen Kurfürsten und des großen
Königs und der Männer von 1813. Das ist vor allem das Ergebnis der Bis-
marckschen Politik. In dieser Einheit ruht die Zukunft der Nation, diese
Einheit ist unser höchstes Gut, diese Einheit — das betone ich nicht nur
vor dem Inlande, sondern auch vor dem Auslande — diese Einheit wird
weder durch auswärtige Angriffe noch durch innere Krisen je wieder zer-
stört werden können.“ Den gleichen Zweck hatte die Rede verfolgt, mit der
ich am 19. Januar 1909 mich in der Etatsdebatte des Abgeordnctenhauses
über Stellung und Bedeutung der Krone ausgesprochen hatte***. Ich hätte
mich, führte ich aus, seitdem ich die Verantwortung trüge für den Gang der
Staatsgeschäfte, niemals der Verpflichtung entzogen, den Träger der Krone
zu decken. „Ich habe aber auch die Pflicht“, fuhr ich fort, „dafür zu sorgen,
daß zwischen dem Träger der Krone und den Wünschen und Empfindungen
des Landes nicht ein Zwiespalt entsteht, der für beide Teile verhängnisvoll
sein müßte. Der verantwortliche Minister hat dafür zu sorgen, daß der
Träger der Krone nicht irre wird an dem Land und das Land nicht an dem
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe III; 93f., Reclam-Ausgabe V, 43f.
** Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe III; 132f., Reclam-Ausgabe V, 65.
*** Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe III; 174ff., Reclam-Ausgabe V, 189 ff.