Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

454 ABENDESSEN MIT PROFESSOREN 
Träger der Krone. Er hat dafür zu sorgen, daß die Verfassung nicht nur dem 
Buchstaben nach, sondern auch dem Geiste nach aufrechterhalten bleibt. 
Der preußische Ministerpräsident hat vor allen Dingen dafür zu sorgen, daß 
die historische Stellung der Krone, die eine ruhmvolle Vergangenheit uns 
überliefert hat und die die Grundlage unserer Wohlfahrt und Macht, 
unserer Einheit und unserer Zukunft ist, nicht auf das Spiel gesetzt wird 
und daß sie nicht abgenutzt wird.“ Nachdem ich daran erinnert hatte, daß 
Preußen groß geworden sei durch seine Herrscher, hob ich die edlen Ab- 
sichten, den Idealismus, die Verdienste des jetzt regierenden Königs und 
Kaisers um die Schlagfertigkeit des Heeres, um die Schaffung der Flotte, 
um Handel und Industrie, um Technik und Wissenschaft hervor und schloß 
mit den Worten: „In dem Verständnis zwischen König und Volk, in dem 
Vertrauen zwischen König und Volk, in dem Ernst, mit dem von beiden 
Seiten dieses Verhältnis aufgefaßt wird, darin, daß der Fürst sich fühlt als 
erster Diener des Landes und daß das Land weiß, daß die Interessen des 
Landes, und nur die Interessen des Landes, auch die Interessen des Fürsten 
und seine Richtschnur sind, darin lag in der Vergangenheit unsere Kraft, 
darau[ beruht auch unsere Zukunft.“ Als ich einige Tage später meinem 
verehrten Freund Gustav Schmoller begegnete, bezeichnete er mir gegen- 
über diese meine Ausführungen als „das Testament eines wahren Mon- 
archisten‘“, das ihn tief ergriffen habe. 
Der eine fragt: was kommt danach? 
Der andre: was ist recht? 
Und dadurch unterscheidet sich 
Der Freie von dem Koecht. 
Bald nach der Novemberkrise hatte ich Gustav Schmoller und Adolf 
von Harnack zu einem Abendessen bei mir eingeladen. Schmoller sprach 
mir mit dem Freimut eines aufrechten Mannes seine Zustimmung zu meiner 
Sprache und Haltung in der Novemberdebatte aus. Ich hätte gegenüber 
dem Land und auch gegenüber dem Kaiser meine Pflicht als preußischer 
Ministerpräsident und deutscher Reichskanzler getan. Er erinnerte daran, 
daß, von dem Fürsten Bismarck zu schweigen, auch andere preußische 
Minister sich genötigt gesehen hätten, ihrem Könige entgegenzutreten: so 
Graf Brandenburg und Freiherr von Manteuflel mehr als einmal dem König 
Friedrich Wilhelm IV., der große Freiherr vom Stein und Wilhelm von 
Humboldt gegenüber Friedrich Wilhelm III, Graf Robert Zedlitz und 
Kultusminister von Goßler, der Kriegsminister Bronsart von Schellendorff 
gegenüber Wilhelm II. Harnack schwieg verlegen, obschon er sich als Theologe 
an manche Stelle aus dem Alten wie ausdem Neuen Testament hätte erinnern 
können, in der Wahrheit und Freimut dem Christen zur Pflicht gemacht
	        
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