Abendtafel
in Potsdam
464 ABENDTAFEL IM NEUEN PALAIS
„Gebe der Himmel“, meinte Schmidt-Elberfeld, „daß die Regierung fest
bleibt und es nicht dahin kommen läßt! Lassen Sie sich nur nicht da-
durch irremachen, daß wir eine Erklärung verlesen werden, durch die wir
die Übertragung des Reichstagswahlrechts auf Preußen fordern werden,
Das ist gar nicht ernst gemeint! Wir werden gerade Ihnen in dieser Frage
ebensowenig ernste Schwierigkeiten machen wie seinerzeit beiden Kämpfen
um den Zolltarif.‘“ Herr Schmidt-Elberfeld hatte Eugen Richter nahe-
gestanden. Er sagte mir, daß auch dieser innerlich ein Gegner der Über-
tragung des Reichstagswahlrechts auf Preußen gewesen wäre. Eifrig und
aufrichtig betrieb von den Freisinnigen nur Friedrich Naumann die Ein-
führung des allgemeinen, geheimen und direkten Wahlrechts in Preußen.
Als ich meinen Freund Albert Ballin frug, wie er es sich erklärte, daß ein
hochgebildeter, ideal angelegter Mann wie Naumann so unverständig sein
könne, den Erisapfel der Wahlrechtsfrage unter die Blockparteien zu
werfen, entgegnete mir Ballin mit seinem ausgesprochen hamburgischen
Akzent: „Aber, Durchlaucht, haben Sie noch nicht gemerkt, daß unser
guter Naumann politisch enorm dumm ist?“ Er sprach das Wort „enorm“
als echter Hamburger aus: „eno-o-o-rm“. Ballin sollte mir im Laufe des
Weltkriegs noch zweimal über die „eno-o-o-rme“ politische Torheit des
D. Naumann klagen: als dieser sein sehr oberflächliches Buch über Mittel-
europa schrieb und als er gemeinsam mit Hans Delbrück, Riezler-Rüdorffer
und ähnlichen Narren die Wiederherstellung von Polen betrieb. Von links
sabotierte Naumann durch seine Unbesonnenheit den Block. Von rechts
ließ, unbelehrt durch alles, was ich ihm gesagt hatte, unbekümmert um
meine ernsten Warnungen, Herr von Heydebrand den Nationalliberalen
durch Herrn von Normann parteioffiziell erklären, die Konservativen
würden keine Besitzsteuer akzeptieren, und insbesondere würden sie unter
keinen Umständen die Nachlaß- oder Erbschaftssteuer bewilligen. Das
war natürlich die Kündigung des Blocks, wie dies auch von konservativer
Seite zugegeben wurde.
Während die innerpolitische Lage einer gefährlichen Krisis entgegen-
trieb, war die Stimmung des Kaisers mir gegenüber, allerdings nur vorüber-
gehend, wieder freundlich und vertrauensvoll geworden. Dazu trug vor
allem der günstige Gang der auswärtigen Politik bei. Die bosnische Krisis
war in einer unseren Interessen und unserem Prestige gleich förderlichen
Weise gelöst worden. Nicht lange nach dem für ihren Abschluß bedeutungs-
vollen 14. März hatte ich, während ich einer Sitzung des Reichstags bei-
wohnte, aus dem Neuen Palais eine telephonische Einladung zur Abendtafel
erhalten. Als ich antworten ließ, ich bäte, mich zu entschuldigen, da ich
im Reichstag zurückgehalten würde, ließ mir der Kaiser telephonieren, er
werde mit dem Essen auf mich warten. Er schickte mir zwei Automobile,