Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

TIRPITZ BINDET SICH NICHT 465 
mit denen ich und meine Frau kommen möchten, wann es uns paßte. 
Wenn das eine Automobil unterwegs eine Panne hätte, sollten wir in das 
andere steigen. Meine Frau und ich trafen erst nach neun Uhr in Potsdam 
ein. Als meine Frau sich bei der Kaiserin entschuldigte, meinte diese: „Wir 
haben gern auf Sie und Ihren Mann gewartet. Der Kaiser freut sich so sehr, 
Ihren Mann zu sehen und ihm zu danken.“ Bald nachher erschien der 
Kaiser und sagte mir freudestrahlend, er habe ein Telegramm des Zaren 
erhalten, der ihm aus eigener Initiative eine Begegnung in den finnischen 
Schären vorschlage. „Das wagte ich ja gar nicht zu hoffen“, meinte der 
Kaiser, „das geht über meine Erwartungen und Hoffnungen! Die bosnische 
Frage haben Sie großartig gedeichselt.““ 
Die freudige Stimmung des Kaisers wurde noch dadurch erhöht, daß 
in denselben Tagen der Marineetat im Reichstag glatt über die Bahn ging. 
Alle bürgerlichen Parteien stimmten zu, die Sozialdemokraten enthielten 
sich der Abstimmung, aber erhoben keinen Widerspruch. Gerade im Hin- 
blick darauf, daß durch diese Haltung und Abstimmung des Reichstags uns 
die Möglichkeit gegeben war, England in der Frage der Verlangsamung des 
Flottenbautempos entgegenzukommen, ohne uns der Mißdeutung auszu- 
setzen, als ob wir aus der Not eine Tugend machten — ein Moment, auf das 
in seinem Brief vom 25. Januar 1909 Metternich besonders Gewicht gelegt 
hatte —, entschloß ich mich zu einem sehr eingehenden und sehr ernsten 
Schriftwechsel mit dem Staatssekretär des Reichsmarineamts. Gerade 
weil ich nicht wußte, wie lange ich noch die auswärtige Politik des Reichs 
führen würde, wollte ich noch einmal auf das Wünschenswerte einer freund- 
lichen Verständigung mit England nachdrücklich hinweisen und jedenfalls 
einer Forcierung unserer Schiffsbauten für die Zukunft einen Riegel vor- 
schieben. Meine Ausführungen kamen im Kern darauf hinaus, daß die 
Marine uns endlich erklären müsse, wann wir die für unsere Verteidigung 
notwendige Flottenstärke erreicht haben würden. Ich erinnerte an meine 
früheren Ausführungen in dieser Richtung. Ich erinnerte auch an alles, was 
ich positiv und negativ für den Bau der Flotte getan hätte: positiv, indem 
ich im Lande das Verständnis für die Notwendigkeit einer verteidigungs- 
fähigen Flotte erweckte und die zu diesem Zwecke nötigen Vorlagen im 
Reichstage durchbrachte; negativ, indem ich unter sehr schwierigen Ver- 
hältnissen erreichte, daß die Flotte im Frieden gebaut werden konnte. 
Tirpitz antwortete ausweichend. Er wollte sich nicht binden, sich alle 
Möglichkeiten offenhalten, getrieben von edlem Ehrgeiz, von tiefer Vater- 
landsliebe, von überragender Sachkenntnis auf seinem Spezialgebiet, dem 
Schiffsbau, aber doch mit Unterschätzung der Gefahren, die im Fall einer 
europäischen Konflagration von einem durch unsere Schiffsbauten allzu 
gereizten und allzu mißtrauisch gewordenen England drohten. 
3% Bülow II 
Bülow 
an Tirpitz
	        
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