Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DIE BEFOLGTEN ZEHN GEBOTE 481 
3. Dardanellen-Frage nicht anschneiden. Falls Russen davon anfangen, 
ihnen freundlich erwidern: das sei eine europäische Frage, aber an unserem 
Widerstand würden die russischen Wünsche gewiß nicht scheitern, 
sofern die weitere Gestaltung der deutsch-russischen Beziehungen uns eine 
für Rußland entgegenkommende Haltung gestatte. 
4. Kreta-Frage nicht anschneiden. Falls die Russen sie anregen, sagen: 
wir seien nicht Schutzmacht und gänzlich uninteressiert. 
5. Bei etwaigen Klagen der Russen über Österreich seufzen oder lächeln 
wir, je nach ihrer Intensität, zucken die Achseln, stimmen aber nicht ein. 
6. Wir betonen immer wieder die traditionellen freundschaftlichen 
deutsch-russischen Beziehungen, die Basis der monarchischen Ord- 
nung in der Welt und des Friedens. Das Dreikaiserbündnis bleibt 
unser Ideal, aber Russen damit kommen lassen. Wir können uns jetzt auf 
keine Separatverständigung mit Rußland einlassen, nur gemeinsam mit 
Österreich. 
7. Wenn die Russen die Zustände in der Türkei als unsicher und un- 
berechenbar hinstellen, ihnen nicht widersprechen; aber selbst die türki- 
schen Vorgänge mit heiterer Ruhe behandeln. Wir sind dort nicht in erster 
Linie engagiert. 
8. Kein Wort gegen England sagen! Es würde sofort dorthin weiterge- 
geben werden und überdies die Russen nur in ihrer gegenwärtigen Hin- 
neigung zu England bestärken. 
9. Wir denken nicht daran, in Persien oder sonst im Orient den Russen 
entgegenzutreten. Die persischen Vorgänge interessieren uns gar nicht. 
Nescio quid nobis magis farcimentum sit. 
10. Nicht ratsam, zu sehr auf die Vorgänge vom vorigen Winter zurück- 
zukommen. Wenn die Russen davon anfangen, ihnen sagen: wir waren 
loyal gegenüber Österreich, ehrlich-freundschaftlich für Rußland; wir 
haben stets den Frieden gewollt. Auf Björkö nicht zurückkommen.“ 
Die Begegnung, die am 17. Juni in den finnischen Schären bei Frederiks- 
haven stattfand, war die letzte, die während meiner Amtszeit zwischen dem 
Kaiser und dem Zaren erfolgte. Sie verlie[ gut. Der Kaiser befolgte meine 
„Zehn Gebote“. Er hielt auf meinen ausdrücklichen Wunsch auch keine 
Rede aus dem Stegreif, sondern verlas einen von mir sorgsam erwogenen 
und schriftlich aufgesetzten Toast. Kaiser Nikolaus hatte bei früheren 
Entrevuen darunter gelitten, daß der Kaiser bei solchem Anlaß seine her- 
vorragenden rednerischen Gaben zu entfalten liebte, während der Zar, der 
kein Demosthenes war, mülısam und gequält von einem großen weißen 
Blatt seinen Toast ablas. Diesmal verlasen beide Monarchen ihre An- 
sprachen, was den Zaren sehr angenehm berührte. In dem politischen 
Gespräch, das sich nach dem Diner entspann, gab der Zar dem Kaiser sein 
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Die 
Begegnung 
in den 
finnischen 
Schären
	        
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