PREUSSEN UND DAS REICH 485
so kleinlich, die politischen Gegensätze auf das persönliche Gebiet zu über-
tragen. Ich hofle. wir werden auch dahin kommen, daß man den, der in
politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Fragen anders denkt als man
selbst, deshalb nicht gleich für einen Narren oder für einen Schurken hält.
Das wird dann ein schöner Fortschritt sein auf dem Wege der Befreiung
von geistiger Gebundenheit, auf dem von Goethe empfohlenen Wege der
Abstreifung von Philisternetzen. Aber vorläufig sind wir noch nicht so
weit.“
Im weiteren Verlauf meiner Ausführungen ließ ich keinen Zweifel über
meinen festen Eutschluß, die Geschäfte so zu führen, daß die Liberalen
nicht von der Mitwirkung ausgeschlossen würden, denn eine solche Mit-
arbeit erscheine mir im Interesse einer ruhigen und gesunden Fortentwick-
lung in hohem Grade wünschenswert. Den liberalen Geist auszuschalten
aus unserem Öffentlichen Leben und unserer Gesetzgebung, würde ich für
ein historisches Unrecht halten und für einen politischen Fehler. „Was in
dem alten Einheitsstaat Preußen möglich und gut war, ist nicht immer
möglich und gut in dem Bundesstaat Deutsches Reich. Man wird in Süd-
deutschland und in Mitteldeutschland lernen müssen, den Wert des kon-
servativen Preußen noch höher, viel höher zu schätzen. Man wird aber auch
in dem konservativen Preußen nicht vergessen dürfen, daß die stämme-
verbindende Kraft des Liberalismus mit seinem Anrecht auf national-
deutsche Gesinnung für das Deutsche Reich unentbehrlich ist.“ Dann
rechnete ich mit der Rechten ab. Ich erinnerte sie daran, daß ich, kaum
Minister geworden, die damalige Spannung zwischen der Konservativen
Partei und der Krone beseitigt, daß ich in jahrelanger Arbeit, mit großer
Mühe, mit großer Geduld die gänzlich verfahrene Kanalfrage eingerenkt
hätte, daß ich seit dem ersten Tage, buchstäblich seit der ersten Stunde
meiner amtlichen Tätigkeit für die Wünsche, die Bedürfnisse, die Interessen
der Landwirtschaft eingetreten wäre. Unter lebhafter Zustimmung und
großer Heiterkeit der Linken rief ich den Konservativen zu: „Sie werden
lange warten können, bis Sie wieder einen Kanzler bekommen, der kon-
servative Interessen, die wahrhaft konservativen Interessen und die wirk-
lichen und dauernden Bedürfnisse der Landwirtschaft so konsequent und
namentlich so erfolgreich fördert wie ich. Ja! Ich habe sie gefördert, aber
im Rahmen des Staatsinteresses. Von der Linie, die mir die Staatsräson
vorschreibt, lasse ich mich auch durch die Konservative Partei nicht ab-
drängen.“ Die Konservativen irrten sich, fuhr ich fort, wenn sie glaubten,
daß Konsequenz auch politische Fehler rechtfertige. „Der Sieg in der
Gegenwart ist häufig der Pfad zur Niederlage in der Zukunft!“ Ich scheute
mich nicht, trotz lärmendem Widerspruch der Linken zu sagen, daß unter
Führung der Monarchie die Junker, jawohl, die mit Unrecht viel geschmähten