Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Bülows Reise 
nach Kiel 
508 WESTARP 
eine dritte Lesung stattfinden. Die Hauptstütze des Führers Heydebrand 
bei seiner Wendung gegen mich v war Graf Cuno Westarp. Er stammte aus 
Hoym mit einem bürgerlichen Fräulein Westarp. Er sprach leicht und 
flüssig, aber ohne zu packen, auch ohne neue Gedanken zu entwickeln, 
bisweilen bissig, nie witzig, meist klar, niemals tief. Er schrieb eine behende 
Feder, aber immer banal. Er gehörte zu den Politikern, die an enttäuschtem 
Ehrgeiz leiden und dadurch etwas Bitteres, unter Umständen Verbissenes 
bekommen. Man hat ihn mit einem zu früh pensionierten Polizeikommissar 
verglichen. In der Tat war er in jüngeren Jahren erst Polizeidirektor, dann 
Polizeipräsident von Schöneberg gewesen, vorher Hilfsarbeiter eines Land- 
rats, dann selbst Landrat in Bomst, einer Kleinstadt im Regierungsbezirk 
Posen, an der faulen Obra, einem der verrufensten Nester des Ostens, 
wenig geeignet, Lebensfreude zu erwecken. Westarp hatte es nie zum Re- 
gierungspräsidenten bringen können und betrachtete das als ein ihm wider- 
fahrenes schweres Unrecht. Nicht ganz ohne Grund, denn er war fleißig, 
pünktlich, akkurat. Ich war ihm vor seinem Eintritt in den Reichstag nie 
persönlich begegnet, hatte aber seine dienstlichen Qualitäten rühmen hören 
und regte wiederholt im Ministerrat seine Beförderung zum Regierungs- 
präsidenten an, stieß aber immer auf Widerspruch bei meinen Kollegen. 
Der blasse, verdrossen dreinschauende Westarp galt im Ministerium des 
Innern für einen Streber und war dort als solcher unbeliebt. Westarp war 
durch eine Nachwahl in den Reichstag gekommen. Nach dem Tode des 
konservativen Abgeordneten von Gersdorff gaben alle deutschen Parteien 
des Kreises Meseritz-Bomst ihm ihre Stimme, und er siegte mit gut zwei- 
tausend Stimmen Mehrheit über seinen polnischen Gegenkandidaten. Um 
so unverantwortlicher war es von ihm, daß er die Politik von Heydebrand 
unterstützte, der mit Hilfe der Polen den entschiedensten und konsequen- 
testen Vertreter einer kräftigen Ostmarkenpolitik zu Fall brachte. 
Am 26. Juni trat ich die Reise nach Kiel an. Vor meiner Abreise von 
Berlin suchte mich der Staatssekretär des Innern Herr von Bethmann 
Hollwegauf. Ich habe Hamlet gelesen und auf der Bühne gesehen, bin auch 
im Leben mancher schwankenden Gestalt begegnet, aber keiner schwan- 
kenderen als Bethmann Hollweg. Wünschte er mein Nachfolger zu werden ? 
Wollte er es nicht? Sicher bin ich mir darüber auch heute nicht. Fast in 
demselben Atemzug sagte er mir, daß er mich dringend bäte, von ihm abzu- 
sehen, dann wieder riet er mir von Schorlemer ab, „‚der katholische Scheu- 
klappen trägt“, und warnte mich vor Rheinbaben, der in unruhigem 
Ehrgeiz es kaum erwarten könne, Reichskanzler zu werden. Er war ganz 
Zweifel, Sorge und Angst, aber mit einem Untergrund von Strebertum und 
hoher Meinung von der eigenen Vortrefflichkeit. Er bat, mich bis an die
	        
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