HERBERT BISMARCKS SCHICKSAL 53
Meinen politischen Aufstieg hatte Herbert von meiner Beförderung zum
Legationssekretär nach Absolvierung meines diplomatischen Examens bis
zu meiner Ernennung zum Reichskanzler, also während eines Viertel-
jahrhunderts, von 1875 bis 1900, mit aufrichtiger Genugtuung begrüßt.
Als ich auf dem Stuhl seines Vaters saß, konnte er diesen Anblick doch
nicht recht vertragen. Ich habe ihm dies nie übelgenommen. Wer wie er
sich mit der Hoffnung getragen hatte, einmal an die Stelle des unvergleich-
lichen Vaters zu treten, wer sich als legitimer Erbe betrachtete, von dem
war nicht zu verlangen, daß er auch einen guten Freund gern in dem Pala's
in der Wilhelmstraße sah, in dem er groß geworden war. Als Herbert einmal
im zweiten oder dritten Jahr meiner Kanzlerschaft bei uns aß, zeigte ihm
meine Frau die verschiedenen Räume des ihm so wohlbekannten Reichs-
kanzlerpalais und führte ihn schließlich auch in das sogenannte „Bismarck-
Zimmer“, wo wir alle Erinnerungen an den Fürsten gesammelt hatten
und das nur seinem Andenken geweiht war. Herbert war sehr bewegt und
küßte ihr mit sicherlich nicht gespielter Rührung die Hand. Er erzählte dies
am nächsten Tage einem gemeinsamen Freunde, fügte aber hinzu: „Ich
kann es aber trotzdem nicht vertragen, daß Bernhard Bülow jetzt dort ist,
wo wir waren. Es geht über mein Vermögen.“ Daß er der Nachfolger seines
Vaters sein wollte, war Herberts Kraft, aber auch sein Unglück: seine
Kraft, weil dieser Wunsch seinem Eifer für die Geschäfte Flügel gab, sein
Unglück, weil es ihn von vornherein politisch in eine schiefe Stellung brachte
und ihn, nachdem sein Wunsch sich nicht erfüllt hatte, in steigendem Maße
bitter machte. Der Generaloberst von Plessen erzählte mir, er sei, als er
Flügeladjutant des alten Kaisers Wilhelm I. war, kurz vor dessen Tod,
1887 oder 1888, zu Seiner Majestät ins Zimmer getreten, der gerade einen
Vortrag von Herbert entgegengenommen hatte. Er fand den Kaiser er-
schöpft, beinahe niedergeschlagen. Der alte Herr sagte zu Plessen: „Die
Vorträge des jungen Bismarck sind für mich immer so ermüdend. Er ist
80 stürmisch, noch viel mehr als der Vater. Er hat gar keinen Takt. Ich ver-
misse schmerzlich den Staatssekretär von Bülow, mit dem ich mich so gut
verstand. Ich vermisse auch den Grafen Paul Hatzfeldt, obschon mir
manches an ihm mißfiel, aber er war homme du monde, mit guten Formen.
Das war auch Radowitz, wenn er gleich ein bißchen viel sprach.“ Der
Kaiser schwieg einen Augenblick, dann fügte er hinzu: „Neuerdings kommt
es mir beinahe so vor, als ob der Fürst möchte, daß Herbert einmal an seine
Stelle tritt. Das ist ja ganz unmöglich. Solange ich lebe, werde ich mich nie
vom Fürsten trennen, der mich wahrscheinlich und hoffentlich überleben
wird. Er iet achtzehn Jahre jünger als ich. Aber auch meine Nachfolger
werden das Kanzleramt nicht erblich machen wollen. Das geht ja gar nicht.“
Graf Stirum, ein treuer Bismarckianer, meinte gelegentlich mir gegenüber,