IM GARTEN VON BELLEVUE 57
nunmehr endgültig geregelt wäre. Die Vertreter der deutschen Regierungen
baben mir selten mit größerer Wärme gedankt als bei diesem Anlaß, der
die deutschen Souveräne und Minister an ihrer kitzligsten Stelle berührte,
nämlich ihrem mehr oder weniger formalen, aber ausgesprochenen Rechts-
gefühl und in ihrem souveränen Bewußtsein.
Am nächsten Tage hatte ich über die ganze lippesche Angelegenheit im
Garten des Schlosses Bellevue eine abschließende Unterredung mit dem
Kaiser. Ich dankte ihm für sein Einlenken, konnte mich aber nicht ent-
halten, ihm zu sagen, daß es sich in der ganzen Sache eben doch um
Imponderabilien gehandelt habe, die nicht ungestraft mißachtet würden.
Ich sagte Seiner Majestät: „Es liest eine große Gefahr darin, daß Eure
Majestät alle Vorgänge zu persönlich nehmen, nur nach Ihren persönlichen
Empfindungen, Ihren Sympathien und Antipathien, statt lediglich vom
Standpunkt der Staatsräson uud mit kühler Überlegung.“ Während wir
um den Rasen gingen, auf dem der tapfere Prinz August von Preußen, der
sich bei Kulm so brav hielt, der Freund von Madame de Sta£l, seinen im
Kindesalter verstorbenen Anverwandten bescheidene Denksäulen errichtet
hat, hörte mir der Kaiser in freundlichster Weise zu. Er schien wirklich
überzeugt zu sein, daß ich es nicht nur gut mit ihm meinte, sondern auch
in der Sache recht hätte. Leider fanden sich immer wieder Byzantiner in
der Art von Theodor Schiemann und Adolf Harnack, die ihm versicherten,
daß Boutaden wie die seinigen auch Friedrich dem Großen eigentümlich
gewesen wären und zu der Art und Weise ganz großer Fürsten gehörten.
Gutmütig wie Wilhelm II. im Grunde war, trug er dem Hause Biesterfeld,
nachdem er sich nun einmal mit ihm hatte versöhnen müssen, dessen frühere
Übeltaten nicht lange nach, sondern verlich dem einst so hart angelassenen
Grafen Leopold später den huhen Orden vom Schwarzen Adler und schoß
im Lippeschen Wald mit besonderem Vergnügen starke Hirsche.
Graf, später Fürst Leopold gehörte zu den nicht allzu zahlreichen
Personen, die mir für einen geleisteten Dienst dankbar waren. Ich brauche
wohl nicht hinzuzufügen, daß meine Regelung der Lippeschen Frage nicht
pour les beaux yeux des Hauses Bicsterfeld, sondern im Interesse der inne-
ren Festigkeit des Deutschen Reichs erfolgte. Der nunmehrige Beherrscher
des Bundesstaats Lippe schrieb mir, nachdem in Ausführung des Be-
schlusses des Bundesrats vom 18. November und in Gemäßheit des Schieds-
vertrages vom 5./8. November die Lippesche Streitsache der richterlichen
Kognition überwiesen worden war: „Daß diese Streitsache in einer das
allgemeine Rechtsgefühl so hoch befriedigenden Weise zum endgültigen
Austrag gebracht wurde, ist dem Rechtssinn und der weisen Energie Eurer
Exzellenz zuzuschreiben, und es drängt mich, nach dem Abschluß dieses
allseitig anerkannten Aktes Eurer Exzellenz für die glänzende Erledigung
Unterredung
Bülows mit
dem Kaiser