DER KAISER BESTÜRZT 63
wolle. Das würde, so kombinierte Wilhelm II. weiter, zu einer französisch-
englischen Vermittlung führen, aus der eine französisch-englisch
Koalition gegen uns hervorgehen könne. Die Besorgnisse, die Japan,
Amerika und namentlich England dem Zaren bereitet hätten, würden ihn
zu einer Annäherung an diese Mächte bewegen, wahrscheinlich auch zu
einer festeren Schürzung des Allianzknotens mit Frankreich. Vor allem
aber drohe uns die Gefahr, daß durch die schwächliche Politik der Russen
die Japaner übermütig werden würden. Wir wären den Japanern zur See
noch nicht gewachsen. Kiautschou erschien Seiner Majestät schon so gut
wie verloren. Ich entgegnete, wir müßten vor allem vermeiden, bei dem
Zaren den Argwohn zu erwecken, als ob wir ihn in einen Krieg treiben woll-
ten, zu dem er und seine Minister aus naheliegenden Gründen gar keine
Lust hätten. Je weniger wir uns jetzt dekuvrierten und je stiller wir
säßen, um so besser. Wenn wir weder den Zaren mißtrauisch machten,
und vor allem, wenn wir ihm nicht als falsche Freunde erschienen, uns aber
andererseits auch nicht von anderen gegen England vorschieben ließen
noch Japan brüskierten, könnten wir der weiteren Entwicklung ruhig ent-
gegensehen. Ich hatte gehofft, den Kaiser einigermaßen kalmiert zu haben.
Dies war jedoch nicht der Fall. Jedenfalls hatte die Beruhigung nicht lange
gedauert. Am 14. Februar erschien der Kaiser schon in ganz früher Morgen-
stunde bei mir. Der Kaiser sah niedergeschlagen, fast bestürzt aus.
Zwischen ihm und mir entspann sich folgender Dialog, über den ich noch
am gleichen Tage die nachstehende Niederschrift zu meinen Akten nahm:
Der Kaiser: Ich dachte, die Wärme meiner letzten Briefe würde den
Zaren veranlassen, seine ganze Macht gegen Japan einzusetzen. Statt
dessen bleibt seine Haltung nach wie vor eine schlappe. Er scheint nicht
fechten zu wollen. Er ist imstande, schließlich die Mandschurei ohne
Schwertstreich, wenigstens ohne ernstlichen Widerstand, den Japanern zu
überlassen. Eine solche Wendung der Dinge muß & tout prix verhindert
werden.
Ich: Das sicherste Mittel, um zu erreichen, daß die Russen mit Japan
einen voreiligen und faulen Frieden schließen, würden unvorsichtige
deutsche Ermutigungen an die Adresse des Zaren sein. Wenn der Zar den
Wunsch Eurer Majestät merkt, daß er sich mit Japan fest verbeißen soll,
so wird ihn das veranlassen, so bald als möglich abzuschnappen.
Der Kaiser: Vom Standpunkt des Staatsmanns mögen Sie recht haben.
Ich fühle aber als Souverän, und als solcher empfinde ich die Blößen, die
sich Kaiser Nikolaus durch sein kleinmütiges Auftreten gibt, als eine
Schande für alle Monarchen und insbesondere für mich. Damit kompro-
mittiert der Zar alle großen Souveräne. Im Interesse des Ansehens der
Monarchie muß etwas geschehen, damit Kaiser Nikolaus forscher auftritt.
Unterredung
mit Bülow
14. Febr. 1904