Zwischenfall
mit dem
König der
Belgier
72 DAS FALSCHE PFERD
Zorn Seiner Majestät noch steigerte. Wie während des Spanisch-Amerika-
nischen Krieges, so hatte Wilhelm II. auch diesmal die Belligerenten un-
richtig eingeschätzt und ebenso bestimmt auf den Sieg der Russen gerechnet
wie sieben Jahre früher auf den Triumph der Spanier. Er hatte wieder ein-
mal auf das falsche Pferd gesetzt. In seinem Bedürfnis, überall dabeizusein
und immer im Vordergrunde der Bühne zu stehen, verfiel er auf den Aus-
weg, den Sieger und den Besiegten gleichmäßig auszuzeichnen, indem er
sowohl dem Verteidiger von Port Arthur, dem General Stössel, wie dem
Eroberer, dem General Nogi, die höchste preußische militärische Auszeich-
nung, den von Friedrich dem Großen gestifteten Orden Pour le merite,
verlieh. Als er mich post festum von diesem Einfall in Kenntnis setzte,
verhehlte ich Seiner Majestät nicht, daß das mißgünstige Ausland in diesem
Akt wieder das Bestreben schen werde, nach rechts und links Kränze aus-
zuteilen und damit den Arbiter mundi zu spielen. „Eure Majestät‘, sagte
ich dem Kaiser, „sind das Oberhaupt eines großen, mächtigen und blühen-
den, aber von Neidern und Feinden umgebenen Reichs. Sie sind nicht ein
römischer Caesar-Imperator, der den kämpfenden Gladiatoren entweder
zunickt oder sie pollice verso zum Tode verurteilt.‘ Der Kaiser schwieg.
Aber in einer langen Unterredung, mit derer mich bald nachher nach einem
Hoffest beehrte, machte sich seine innere Erregung in selbst bei ihm unge-
wöhnlich stürmischer Weise Luft. Er wiederholte mir hierbei alles, was er
einige Wochen vorher in Schlesien dem Gesandten von Schön über die
Maßnahmen gesagt hatte, die er „unweigerlich“ treffen werde, wenn Eng-
land es wagen sollte, ihn am Weiterbau seiner Flotte zu hindern.
Ich muß bei diesem Anlaß auf ein Ereignis zurückgreifen, das zwar an
sich fast ein Jahr zurücklag, das aber erst in Zusammenhalt mit der Geistes-
verfassung, in der ich den Kaiser an diesem schwer zu vergessenden Januar-
tag 1905 fand, in seiner eigentlichen Tragweite zutage tritt. Ich besitze auch
über jenen Vorfall, der sich am 28. Januar 1904 in demselben altersgrauen,
für mein Herz so ehrwürdigen Schloß abgespielt hatte, Notizen, die ich
damals sofort gemacht und zu Papier gebracht habe.
Im Januar 1904 hatte mir der Kaiser zu meiner Überraschung erklärt,
daB König Leopold von Belgien ihm den Wunsch ausgesprochen habe,
ihm in Berlin einen Besuch abzustatten. Diese günstige Gelegenheit müsse
nach seiner festen Überzeugung benutzt werden, um Belgien enger an uns
zu fesseln. „‚Der Belgierkönig‘“, setzte mir der Kaiser auseinander, ‚ist jetzt
eine Non-valeur, ein Mr. Nobody unter den großen Fürsten, um den sich
niemand kümmert, und doch hat Belgien eine herrliche Vergangenheit. Wir
müssen König Leopold auf den Glanz und die Pracht des alten Burgund
hinweisen, an Philipp den Gütigen und Karl den Kühnen erinnern. Wenn
wir ihm die Aussicht eröffnen, durch ein Bündnis mit uns zu gleicher Höhe