LEOPOLD VON BELGIEN IN BERLIN 73
emporzusteigen, wird Leopold zu allem bereit sein.“ Natürlich riet ich
ab. Die Belgier wären nicht ambitiös. Sie sängen nicht:
O nein, nein, nein!
Mein Vaterland muß größer sein!
Sie wären nur auf ihre Neutralität und Unabhängigkeit bedacht, das aber
sehr. Der Kaiser versprach mir, auf die Versucherrolle zu verzichten, die
er sich schon zurechtgelegt hatte. Ich will nicht verschweigen, daß ich mir
noch heute im Zweifel darüber bin, ob König Leopold sich wirklich aus
eigenem Antrieb zum Besuch in Berlin angemeldet hatte, oder ob die Ein-
ladung vom Kaiser ausging, oder ob der Militärattache in Brüssel den An-
stoß gab. König Leopold traf am 26. Januar 1904 in Berlin ein. Er beehrte
mich am nächstfolgenden Tage, am Geburtstage Seiner Majestät, am
27. Januar, mit einem langen Besuch, in dessen Verlauf wir an der Hand
einer auf meinem Schreibtisch ausgebreiteten großen Karte von Zentral-
afrika eine Reihe strittiger Kolonialfragen regelten, über die ich mir von
der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts eingehenden Vortrag hatte
halten lassen. Der König war ein guter Geschäftsmann. Seine Klarheit,
Sachlichkeit und Sicherbeit machten mir einen günstigen Eindruck. Von
unseren kleinen Kolonialdifferenzen kamen wir auf die allgemeine euro-
päische Lage und im Anschluß hieran auf die Beziehungen zwischen Belgien
und Deutschland zu sprechen. Der König hob nicht nur als seinen persön-
lichen Wunsch, sondern als den Wunsch aller Belgier ohne Unterschied der
Partei, als das Hauptinteresse Belgiens die Aufrechterhaltung des Friedens
hervor, die ihm durchaus möglich erschien, wenn in Berlin, London und
St. Petersburg eine verständige und ruhige Politik gemacht werde. Was
das Verhältnis zwischen Belgien und Deutschland angehe, so sei es so gut
als möglich. Französisch sei die Muttersprache der Wallonen, ganz Belgien
stehe unter dem Einfluß der französischen Zivilisation, Brüssel sei in
geistiger, literarischer und künstlerischer Hinsicht sozusagen un faubourg
de Paris. Die Belgier wären aber viel zu nüchtern und viel zu vernünftig,
um sich dadurch politisch beeinflussen zu lassen. Politisch hätten sie mehr
Vertrauen zu Deutschland als zu Frankreich. Die Furcht, von Frankreich
einmal überrannt oder gar heruntergeschluckt zu werden, sei in Belgien alt,
sei weit verbreitet und werde neuerdings in dem gut katholischen Land
durch die antiklerikale Richtung der Französischen Republik noch ver-
schärft. Von Deutschland, führte der König aus, wisse jeder Belgier schon
aus den Bismarckschen Veröffentlichungen vor dem Beginn des Deutsch-
Französischen Krieges von 1870, daß es der Verteidiger und treue Wächter
der belgischen Neutralität und Unabhängigkeit sei. Der König lobte den
damaligen deutschen Gesandten in Brüssel, den Grafen Nikolaus Wallwi tz,