Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Der Krieg 
gegen 
Frankreich 
Italien 
168 BETHMANNS FALSCHE TAKTIK 
und Martens. Ballin erlaubtesich die Frage an den Reichskanzler: „Exzellenz, 
warum haben Sie denn eine so eno-o-orme Eile, Rußland den Krieg zu 
erklären ?‘“ Bethmann, die lange Unzulänglichkeit, wie ihn mit Witz der 
Sozialist Trank genannt hat, antwortete: „Sonst kriege ich die Sozial- 
demokraten nicht mit.“ In der psychologischen Erklärung dieser Antwort 
stimmten Ballin und ich überein: Bethmann hatte erkannt, in welche 
fürchterliche Lage er das Reich und sich selbst gebracht hatte. Ihm bangte 
vor der Verantwortung. Instinktiv wollte er vor allem die linksradikalen 
Elemente beschwichtigen, weil er sie am meisten fürchtete. Er glaubte dies 
zu erreichen, wenn er dem Krieg, den zu verhindern ihm nicht gelungen war, 
die Spitze gegen das zaristische Rußland gab. An dieser falschen Taktik 
hat Bethmann Hollweg bis zu seinem Rücktritt festgehalten. 
Als am 3. August 1914 unsere Kriegserklärung an Frankreich der 
Kriegserklärung an Rußland folgte, wurde sie mit Unwahrheiten be- 
gründet. Es wurde den Franzosen nicht schwer, zu beweisen, daß 
französische Flieger keine Bomben auf die Eisenbahnstrecke Nürnberg bis 
Ingolstadt abgewörfen hätten. Um den durch die Kriegserklärung an Ruß- 
land militärisch notwendig gewordenen Bruch mit Frankreich zu be- 
schleunigen, wurde überdies an Frankreich das Ansinnen gestellt, uns als 
Pfand Belfort, Toul und Verdun zu überlassen, eine Zumutung, die von der 
Propaganda der Entente natürlich als Beweis für deutsche Eroberungspläne 
und deutsche Unersättlichkeit ausposaunt wurde. Der Botschafter Schön 
kam gar nicht in die Lage, diese telegraphische Weisung auszuführen. Aber 
das in Rede stehende Berliner Telegramm fiel in die Hände der Franzosen. 
Es ist traurig, feststellen zu müssen, daß, als der Weltsturm losbrach, nicht 
nur die Zentrale, Bethmann Hollweg und Jagow, Wilhelm von Stumm und 
Diego von Bergen, sondern auch unsere Botschaften kläglich versagten. 
Zu den Fehlern des Juli 1914 gehörte auch unser Versteckspiel gegenüber 
Italien. Bethmann und Jagow fürchteten, daß Italien in der Ultimatums- 
angelegenheit das Geheimnis nicht wahren würde und daß so über die gegen 
Serbien geplante große Aktion etwas nach St. Petersburg durchsickern und 
dort diplomatische Proteste hervorrufen könnte. Es wäre, nebenbei gesagt, 
ein „godsend‘“, eine gnädige Fügung der Vorsehung gewesen, wenn die durch 
das Ultimatum an Serbien eingeleitete wahnwitzige Aktion auf diese Weise 
im Keime erstickt worden wäre. Um Italien hinter das Licht zu führen, 
erklärte während der Woche, die der Überreichung des Ultimatums voraus- 
ging, der Staatssekretär von Jagow Tag für Tag dem italienischen Bot- 
schafter Bollati, der im Auftrag seiner Regierung beständig frug, ob, wie in 
Bukarest, in Konstantinopel und auch anderswo getuschelt würde, 
Österreich-Ungarn gegen Serbien etwas im Schilde führe, daß hiervon 
keine Rede sei. Weder in Wien noch in Berlin trage man sich mit solchen
	        
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