MOLTKES SCHICKSAL 185
angeordnet. Moltke hat mir später mit Tränen in den Augen erzählt, daß
die seelischen Schmerzen, die er in diesen Tagen, gleichzeitig körperlich
leidend, durchgemacht hätte, „unsägliche‘‘ gewesen wären. Der Kaiser,
an seinem langjährigen Freund irre geworden und nach seiner Art von
einem Extrem in das andere fallend, hatte ihm mit barschen Worten die
Leitung der Operationen entzogen und sie dem Kriegsminister Gencral
von Falkenhayn übertragen. Nach außen sollte aber der Wechsel vor-
läufig nicht bekanntwerden, um die Heimat nicht zu beunruhigen. So
mußte, de facto völlig ausgeschaltet, Moltke doch pro forma an allen
militärischen Beratungen teilnehmen, wurde aber weder gefragt noch
gehört noch irgendwie beachtet. Stumm saß er neben seinem bisherigen
Rivalen und nunmehrigen Nachfolger. „Ich glaube nicht‘, äußerte Moltke
später zu mir, „daß unter den Qualen der Hölle, von denen Dante in seinem
Inferno berichtet, auch nur eine an das seelische Martyrium heranreicht,
das ich durchgemacht habe.“
Die Heimat wurde von diesem Zusammenbruch stolzer Hoffnungen
und gewaltiger militärischer Anstrengungen im Westen vorerst nicht be-
rührt, denn sie stand noch unter dem Eindruck des Sieges von Tannenberg.
Das Städtchen Tannenberg, wo fünf Jahrhunderte früher das deutsche
Volk eine der schwersten Niederlagen seiner Geschichte erlitten hatte, war
jetzt der Schauplatz eines der größten deutschen Siege aller Zeiten ge-
worden. Der Cannae-Gedanke, den Moltke im Westen zu rcalisieren ver-
suchte, aber nicht vermochte, war hier mit höchster Kühnheit und zugleich
mit genialer Sicherheit verwirklicht worden. Neunzigtausend Russen
waren gefangen, noch mehr erlagen dem deutschen Feuer oder ertranken
in den Masurischen Seen. Und als die Nebel, die über den Masurischen Seen
lagerten, sich verzogen hatten, erkannte das Volk in dem Sieger der
Schlacht den General von Hindenburg, einen seiner Großen. Deutsch
bis in die Knochen. Deutsch auch in seiner äußeren Erscheinung, der Mann
mit den breiten Schultern, dem schweren, festen Gang, den großen,
gütigen Augen, der vollkommenen Natürlichkeit, verbunden mit nicht
gewollter, nicht beabsichtigter, in seinem Wesen liegender und von seinem
Wesen ausgehender Würde. Streng, wo es nottat, aber immer menschlich
und gütig, nie eitel, nie persönlich, nie kleinlich. Groß vor allem durch die
sittliche Stärke, die den hervorstechendsten Zug seines Wesens bildet, ver-
körpert der Generalfeldmarschall von Hindenburg alle guten und herrlichen
Eigenschaften des deutschen Volkes und insbesondere der preußischen
Armee. So steht er in unserer Geschichte als ein ganz Großer. Seine Größe
zeigte sich auch in seinem Verhältnis zu seinem Generalstabschef, dem
General Ludendorff. Die vollkommene Neidlosigkeit, mit der Hindenburg
den genialen, aber oft stürmischen, nicht immer bequemen Ludendorff
Die Schlacht
bei
Tannenberg