Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Ankunft 
Bülows 
in Rom 
208 DIE FATALITÄTSTHEORIE 
hältnisse gehabt. Ich weiß keinen anderen Mann, der Sie ersetzen könnte. 
Verzeihen Sie die Länge meines Briefes. Ich bin durch meine Erkrankung 
aus der Mitarbeit am Kriege ausgeschaltet und sitze einsam im alten Hom- 
burger Schloß. Aber mein Herz und meine Seele sind verknüpft mit den 
Geschehnissen dieser großen, heiligen Zeit. Und der heiße Wunsch, daß 
unser Volk durch Kampf und Nacht zum Licht geführt werden möge, lebt 
in mir mit heißer Gewalt. Das Wort Vaterland umschließt all mein Denken 
und Fühlen, und ich weiß, daß in Ihnen dieselben Gedanken leben. Gott 
gebe uns den Sieg, und er gebe unserm Volk einen Frieden, der ihm seine 
höchsten Güter wahrt. Ihr treu ergebener Moltke.‘“ 
Ein kritischer Beurteiler des vorstehenden Bricfes wird an ihm manches 
auszusetzen haben: Meinem Nachfulger Bethmann war nicht so sehr vor- 
zuwerfen, daß er den Frieden um jeden Preis gewollt hätte, als das Un- 
geschick, mit dem er sich in den Krieg hatte verstricken lassen. Es war auch 
nicht richtig, daß das Gewitter eines Weltkrieges sich notwendig und unent- 
rionbar entladen mußte. Das war die leidige, die schwächliche Fatalitäts- 
theorie, an die Bismarck ebensowenig glaubte wie an die Notwendigkeit 
prophylaktischer Kriege. Zutreffend dagegen war die Bemerkung, daß wir 
den Krieg rasch hätten gewinnen können, wenn wir von vornherein Italien 
und Rumänien auf unserer Seite gehabt hätten. Daß wir dies nicht er- 
reichten, war tatsächlich die Schuld der Wiener und der Berliner Diplo- 
maten. Im großen und ganzen ist der Brief von Moltke mehr die von hohem 
Idealisınus inspirierte und von edler Weltauffassung getragene Betrachtung 
eines Professors der Ethik als das Bekenntnis und Testament eines Feld- 
herrn. Aus den Schriften des großen Königs und dem „Memorial de Sainte- 
Helöne‘“ weht ein anderer Geist. Unser Verhängnis hat gewollt, daß bei 
Beginn des größten aller Kriege die beiden wichtigsten Posten nicht mit 
tatenfreudigen und tatkräftigen, nicht mit klugen, gewandten, geschickten 
Männern besetzt waren, sondern mit Philosophen. Ich füge noch hinzu, daß 
das Urteil der Geschichte, und mit Recht, über Bethmann strenger und 
härter ausfallen wird als über seinen Schicksals- und Leidensgenossen 
Moltke. 
Am 14. Dezember 1914 fuhr ich mit dem Schnellzug nach Rom. Dort 
erhielt ich wenige Tage später den Brief eines dem Auswärtigen Amt nalıe- 
stehenden Journalisten, der mir schrieb: „Staatssekretär von Jagow sagte 
hier, unmittelbar nach Ihrer Abfahrt von Berlin, jedem, der es hören wollte, 
Italiens wären wir völlig sicher. Es werde eingreifen, und zwar auf deutscher 
Seite. Darüber sei kein Zweifel.“ Die Absicht, mir in die Suppe zu spucken, 
trat klar zutage. In Rom erwartete mich das Personal der Botschaft an der 
Bahn, aber ohne den Botschafter Flotow. Ich stieg in meiner Villa Malta 
ab, nicht im Palazzo Caffarelli, der mich vierzig Jabre früher als Attache
	        
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