Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Hallenser 
Mitschüler 
Die Brüder 
Dolna 
16 EIN HEXAMETER 
eine kindische Verlegenheit. Mit unverständlichem Brummen und einem 
albernen „Was ich mir dafür koofe‘“, nahm ich meinen Platz in der Klasse 
wieder ein. Professor Daniel ließ uns auch gelegentlich dichterische Ver- 
suche unternehmen. Jeder Schüler sollte ein Verschen auf seinen Nachbar 
improvisieren. Mein Nebenmann, Friedrich von Oertzen, war ein guter 
Junge, aber er hatte nur eine sehr entfernte Ähnlichkeit mit Adonis, dem 
schönen Liebling der Aphrodite, dem sie die Wunde nicht stillen konnte, 
die ihm ein grausamer Eber in den zierlichen Leib geritzt hatte. Auch hatte 
Oertzen die Gewohnheit, unausgesetzt zu „feixen“, wie wir Schüler das 
Lachen nannten. Ich improvisierte auf ihn den nachstehenden Hexameter: 
In der Wiege dich schauend, laut lachten die Grazien alle, 
Sahst sie an und lachst unaufhörlich seitdem. 
Zu meiner Entschuldigung beeile ich mich, hinzuzufügen, daß dies die 
einzigen Verse sind, die ich in meinem Leben verbrochen habe. In meiner 
Jugend war das Versemachen schon aus der Mode gekommen. Mein Vater 
hat noch manchen nicht üblen Vers gemacht. Mein Großonkel Baudissin 
pflegte bei Geburtstagen und sonstigen Festivitäten geistreiche Trink 
sprüche in Versen auszubringen. In der zweiten Hälfte des neunzehnten 
Jahrhunderts nahmen Politik und Wirtschaft den Deutschen so sehr in An- 
spruch, daß er an solchen harmlosen Spielereien kein Gefallen mehr fand. 
Im Pädchen hausten drei Schüler zusammen in je einer aus einem Arbeits- 
und einem Schlafzimmer bestehenden Wohnung: ein Senior und zwei 
Junioren. Die Senioren gehörten der Sekunda und Prima an, die Junioren 
den unteren Klassen. Letztere erhielten bisweilen, wenn sie nicht Order 
parierten, eine tüchtige Maulschelle, im übrigen jedoch war das Verhältnis 
auf der „‚Bude“, so nannten wir das gemeinsame Appartement, durch- 
aus angenehm. In die Schreibtische und Schränke hatten frühere Be- 
wohner ihre Namen eingeschnitten, darunter war mancher Name histo- 
rischer preußischer Familien. Von meinen Hallenser Mitschülern wurde 
Zieten Leibgardehusar, Wurmb Gardedukorps, Wentzel Oberpräsident der 
Provinz Hannover, Benda und Borch, Seebach und Gundlach wurden, was 
wir „Stoppelhopser“ nannten, d. h. Landwirte. Georg von Klitzing gelangte 
auf Präsentation des Verbandes des alten und befestigten Grundbesitzes in 
der Neumark in das Herrenhaus. Er war ein streitbarer Agrarier und meinte 
während der Kämpfe um den Zolltarif einmal auf einer Tagung des Bundes 
der Landwirte von mir, ich verstünde von Landwirtschaft nicht mehr, als 
daß eine Gans zwei Beine habe und daß man einen Bullen nicht melken 
könne. Das war kein übler Witz, und ich habe sehr darüber gelacht. 
Eigenartige Menschen waren die Zwillingsbrüder Ludwig und Adalbert 
Dohna. Bei Graf Ludwig zu Dohna gesellte sich in seinem späteren Leben
	        
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