Aufruf
des Königs
88 DER ERLOSCHENE DEUTSCHE BUND
Jahrzehnte hinausrücken zu lassen.“ Die von Bismarck entworfene Antwort
des Königs begann: ‚‚Die Worte, welche Magistrat und Stadtverordnete der
Stadt Breslau an Mich gerichtet haben, habe Ich gern vernommen. Ich
erkenne in ihnen den Ausfluß desselben Geistes, welcher im Jahre 1813 die
Väter der heutigen Bewohner Breslaus beseelte.‘““ Am Schluß des königlichen
Erlasses wurde angedeutet, daß die vom König gewünschte Verständigung
zwischen seiner Regierung und dem Landtag durch die bevorstehenden
Neuwahlen erleichtert werden möge. Im Geiste dieser Antwort an Breslau
war auch der von Bismarck dem König vorgelegte „‚Aufruf an mein Volk“
gehalten, der das Pädchen in helle Begeisterung versetzte: „Wohin wir in
Deutschland schauen, sind wir von Feinden umgeben, deren Kampfgeschrei
ist: Erniedrigung Preußens! Aber in Meinem Volk lebt der Geist von 1813.
Wer wird uns einen Fuß breit Preußischen Bodens rauben, wenn wir
ernstlich entschlossen sind, die Errungenschaften unserer Väter zu wahren,
wenn König und Volk, durch die Gefahren des Vaterlandes fester als je
geeint, an die Ehre desselben Gut und Blut zu setzen für ihre höchste
Aufgabe halten! Verleiht uns Gott den Sieg, dann werden wir auch stark
genug sein, das lose Band, welches die deutschen Lande mehr dem Namen
als der That nach zusammenhielt und welches jetzt durch diejenigen
zerrissen ist, die das Recht und die Macht des nationalen Geistes fürchten,
in anderer Gestalt fester und heilvoller zu erneuern.“
Dieser Aufruf war datiert vom 18. Juni, dem Tage von Waterloo. Vier
Tage vorher hatte der Bundestag mit neun Stimmen (Österreich, Bayern,
Sachsen, Württemberg, Hannover, beide Hessen, Nassau, die 16. Kurie,
nämlich Lichtenstein, Reuß usw.) gegen sechs Stimmen (Thüringen,
Mecklenburg, die Hansestädte, Oldenburg, Schwarzburg) den österreichi-
schen Antrag auf Mobilisierung des Bundesheeres gegen Preußen an-
genommen. Daraufhin erklärte der preußische Gesandte, Karl Friedrich
von Savigny, ein Jugendfreund Bismarcks, später sein Gegner und erster
Vorsitzender der Zentrumsfraktion, in scharfen Worten, Preußen sehe den
bisherigen Bundesvertrag für gebrochen und deshalb nicht mehr verbindlich
an und werde ihn als erloschen betrachten und behandeln: ‚„Indes will
Seine Majestät der König, mein Allergnädigster Herr, mit dem Erlöschen
des bisherigen Bundes nicht zugleich die nationalen Grundlagen, auf denen
der Bund auferbaut gewesen, als zerstört betrachten. Preußen hält vielmehr
an diesen Grundlagen und an der über die vorübergehenden Formen
erhabenen Einheit der deutschen Nation fest und sieht es als eine unabweis-
liche Pflicht der deutschen Staaten an, für die letzteren den angemessenen
Ausdruck zu finden.“
Die Stimmung, in der sich der große preußische Minister in diesen
Junitagen befand, während der Wende der deutschen Geschichte und der