DIE BARONIN UND DER ZOLLAUFSEHER 95
Bismarck zeigte sich 1866 auch darin als Meister der Staatskunst, daß
er sich bis zuletzt alle Wege offenhielt. Bis kurz vor Beginn der Feind-
seligkeiten verhandelte er mit dem Bruder des besten österreichischen
Generals, dem Freiherrn Ludwigvon Gablenz, einem geborenen Sachsen,
über die Möglichkeit einer für Preußen annehmbaren Verständigung mit
Österreich. Bayern schlug er eine Rekonstruktion von Deutschland auf der
Basis vor, daß nördlich des Mains Preußen, südlich Bayern die Führung
übernehmen sollte. Er hat auch bis zuletzt gegenüber Hannover nicht alle
Brücken abgebrochen. Dem Erben der hessischen Krone, dem Land-
grafen Friedrich Wilhelm, sagte er persönlich bei einem Besuch, den ihm
dieser im Frühjahr 1866 abstattete, er möge dafür sorgen, daß sein Familien-
chef, der Kurfürst Friedrich Wilhelm, sich auf die preußische Seite stelle.
Als der Landgraf erwiderte, dazu sei es zu spät, die endgültige Entscheidung
in Kassel, die für Österreich ausfallen werde, solle schon am nächsten Vor-
mittage getroffen werden, meinte Bismarck: „Nehmen Sie sich einen Extra-
zug nach Kassel, dann können Sie noch Ihre Krone retten.‘ Als der für
seinen Geiz berühmte Landgraf auf die Spesen eines Sonderzuges hinwies,
antwortete Bismarck: „Greifen Sie in die Tasche und wenden Sie tausend
Taler an einen Sonderzug. Es wird sich lohnen, sonst geht es Hessen an den
Kragen.“ Hochmütig erwiderte der Landgraf: „Sie vergessen, daß sechs-
hunderttausend Österreicher zwischen mir und Ihnen stehn.“
Die Meisterschaft, mit der Fürst Bismarck im Schicksalsjahr 1866 die
preußische Politik leitete, tritt noch deutlicher hervor, wenn wir uns daran
erinnern, wie wenig sich der leitende Minister auf die damaligen preußischen
Vertreter im Ausland verlassen konnte. Gesandter in Wien war der Frei-
herr Karl von Werther. Er war durch und durch österreichisch gesinnt.
Seine Frau, eine geborene Gräfin Oriola, war es womöglich noch mehr als er.
Als nach dem Ausbruch des Krieges die österreichische Regierung Herrn
von Werther seine Pässe zugestellt hatte und er seinen bisherigen Wirkungs-
kreis verlassen mußte, umarmte die Baronin Werther an der österreichisch-
preußischen Grenze den dicken Zollaufseher, der, seine Mütze mit der
schwarzgelben Kokarde auf dem Kopf, das Gepäck abfertigte, unter Tränen
mit den Worten: „In Ihnen will ich noch einmal mein liebes Österreich um-
armen, von dem ich mich mit blutendem Herzen trenne.‘“ Sie war eine
Schwester der Palastdame Luise Oriola, die ganz anders dachte. Eine treue
Preußin, hielt sie zeit ihres Lebens am Hofe Bismarck die Stange, was ihr
die stille Ungnade der Königin Augusta zuzog, was aber nicht nur Bismarck
selbst, sondern auch unser alter König Wilhelm I. ihr hoch anrechneten.
Bismarck hatte übrigens nach seinem Lieblingsspruch, ,„qu’en politique il
faut faire fleche de tout bois“, die outriert austrophile Gesinnung des
Barons Werther in sein Spiel eingestellt. Als ihm bei Ausbruch des Krieges
Bismarck
verhandelt
Freiherr
von Werther