Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

AUFSATZ MIT ZITATEN 109 
werde und du nicht, denn du bist ebenso schuldig wie ich.“ O Puppel, ich 
weiß nichts von deinen späteren Lebensschicksalen. Ich vermute, daß du 
trotz dem anfänglichen Widerstreben deines Herrn Vaters die militärische 
Laufbahn eingeschlagen haben wirst. Vielleicht bist du den Heldentod ge- 
storben. Hast du den Krieg überstanden, wirst du, wie ich fürchte, an der 
Majorsecke gescheitert sein. Ich glaube nicht, daß du es bis zum General 
gebracht haben wirst. Was ausdirgeworden sein mag,ich habe in meinem auch 
späteren Leben oft an dich zurückgedacht. Wenn Fraktionen, die mich 
ihrer Treue versichert hatten, solange sie etwas von mir wollten, mich, 
wenn sie saturiert waren, im Stiche ließen, wenn Politiker, die nicht höher 
als auf mich schworen, von mir abschwenkten, sobald Eigennutz oder Feig- 
heit dazu rieten, wenn Untergebene, die vor mir gekrochen waren, mich 
bei der ersten ihnen günstig erscheinenden Gelegenheit verrieten,o Puppel, 
dann habe ich an dich gedacht. Du warst nicht eine Einzelerscheinung, 
lieber Puppel, du warst ein Typus. 
Als wir mit Ausnahme des unglücklichen Puppel unsere Plätze im Prü- 
fungszimmer wieder eingenommen hatten, wurde uns ein neues Thema für 
den deutschen Aufsatz gegeben. Es lautete: „Unsere mittelalterlichen 
Volksepen, ein großes und herrliches Lied von Treue.“ Ich gedachte der 
Mahnung, die mir ein Jahrzehnt früher mein Vater auf der Landstraße er- 
teilt hatte, die von Frankfurt nach Mainz führt: „Keep up your nerves, 
Sir!““ Ich hatte meine Arbeit früher als die anderen fertiggestellt, die, ein 
seltener Fall, die Zensur I erhielt. 
Der Inspector adjunctus des Pädagogiums zu Halle, Studienrat 
Faltin, hat die Liebenswürdigkeit gehabt, mir als dem ältesten ehemaligen 
Zögling des Pädagogiums zu meinem 75. Geburtstag eine Abschrift 
meines damaligen Aufsatzes zu übersenden. Man wird es mir hoffentlich 
nicht als Eitelkeit auslegen, daß ich, als ich mein damaliges Opus 
wieder vor Augen hatte, es gar nicht so übel fand. Freilich ersah ich 
daraus, wie recht Goethe hat, zu sagen: daß keine Zeit die einmal ge- 
prägten, sich lebend entwickelnden Formen zerstückele. Man hat meiner 
Konversation, man hat den vielen Reden, die ich in meinem späteren Leben 
gehalten habe, insbesondere den Reden, die ich aus dem Stegreif hielt, nicht 
selten einen zu reichlichen Zusatz von Zitaten vorgeworfen. Schon mein 
Examenaufsatz vom 24. Juli 1867 beginnt mit einem Zitat von Barthold 
Niebuhr (die Deutschen seien die Griechen der Neuzeit) und schließt mit 
einem Worte von Schiller, das freilich nahelag: Die Treue, sie ist doch kein 
leerer Wahn. Am nächsten Tage mußte ich meine Karzerstrafe abbüßen. 
Da Bücher verboten waren, verbrachte ich meine Zeit damit, den „Faust“ 
aufzusagen, den ich, dem Rat meines verehrten Lehrers Daniel folgend, als 
Primaner nach und nach meinem Gedächtnis eingeprägt hatte. 
„Unsere 
mittelalter- 
lichen Volks- 
epen“
	        
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