Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Ein Brief 
des Vaters 
110 VERWARNUNG 
Ich gebe als Epilog den Brief wieder, den ich von meinem Vater erhielt, 
nachdem meine Entgleisung im Abiturientenexamen zu seiner Kenntnis ge- 
langt war. Aus seinem Schreiben spricht nicht nur seine Herzensgüte, 
sondern auch seine Weisheit, die, gegründet auf Erfahrung, Menschen- 
kenntnis und Charakter, ihn einem Bismarck nach dessen eigenem Aus- 
spruch zum wertvollsten seiner Mitarbeiter machte: „Dienstag, 30. Juli 67. 
Lieber Bernhard, wir hatten schon recht lange nach einem Briefe von Euch 
ausgesehen, wußten freilich, daß Ihr des Examens wegen nicht zum Ein- 
halten des regelmäßigen Tages kamet, waren aber doch recht gespannt auf 
Nachrichten. Wir warteten von einem Tage zum andern mit Schreiben. 
Gestern empfingen wir denn zugleich Professor Daniels und Deinen Brief, 
ersterer war über Neu-Strelitz gegangen, und sahen daraus, wie es Dir in 
dieser schweren Woche ergangen ist. Professor Daniel, dem ich heute 
dankend erwidere, schreibt mir sehr hübsch über Deine große Unbesonnen- 
heit. Es ist mir denn freilich eine große Beruhigung, lieber Sohn, daß deren 
strengste Folgen von Dir haben abgewendet werden können, und ich will 
Dir um so weniger nachträgliche Vorwürfe machen, als Du Dir schon selbst 
gesagt haben wirst, was zu sagen ist, und ausschließlich die Rücksicht der 
Lehrer auf Dein bisheriges gutes, und ich sage es gern, Dein musterhaftes Be- 
tragen Dich vor einer Strafe bewahrt hat, welche Dir schon durch Verlust 
des halben Jahres auf lange hin fühlbar sein würde, Du also selbst gut 
gemacht hast, was nicht gut war. Die Karzerstrafe, während ich so gern 
auch in diesem Quartal Nummer 1 für Betragen gehabt hätte, ist freilich 
unwillkommen, aber darüber wollen wir denn nicht murren. Nur eines, mein 
lieber guter Bernhard möchte ich Dir bei dieser Gelegenheit in recht ernste 
Erwägung rufen. Was Du getan, ist, abgesehen davon, daß es ziemlich über- 
flüssig ist, einem Schwachmatikus dieser Art überhaupt zu helfen, in den 
Augen von Schülern nicht weiter unrecht und moralisch zumeist ein 
Zeichen Deiner Gutmütigkeit. Es ist aber doch ein Unrecht und unmoralisch, 
denn die Prüfung ist ein Stempel, den der Staat erteilt als Bürgschaft und 
Beweis guter Schulbildung und mit dem Auszeichnungen und Vorteile ver- 
bunden sind. Wer nun einem Unwürdigen durchhilft, täuscht oder hilft 
täuschen und nimmt also an einer Unwahrheit teil, die keine guten Folgen 
haben kann. Urteile und handle also in allen Dingen des Lebens nicht nach 
dem Schein und gutmütig-unbesonnenem Gehenlassen, sondern nach der 
Tat und nach der wahren Wahrhaftigkeit. Du wirst Dich besser dabei 
"stehen und Dein gutes Gewissen bewahren. Und weißt Du denn, ob Puppel, 
wenn Du ihm das unglückliche Blatt nicht zugesteckt hättest, nicht viel- 
leicht proprio Marte das Examen bestanden hätte, während er nun ab- 
gewiesen ist? Doch genug hiervon, lieber Bernhard. Ich wollte nicht 
mehreres sagen, als was Dich in Zukunft vor ähnlichen Unbesonnenheiten
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.