Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Cröllwitz und 
Giebichenstein 
112 AN DER SAALE HELLEM STRANDE 
Ich hatte bei der Trennung vom Pädchen die Empfindung, die mich er- 
füllte, wenn ich, aus der Elbe kommend, hinter Cuxhaven bei der roten 
Tonne das offene Meer vor mir erblickte. Zu neuen Ufern lockt ein neuer 
Tag. Aber ich war doch bewegt, als die Abiturienten sangen: „So leb denn 
wohl, du stilles Haus, wir ziehn betrübt von dir hinaus.“ Halle war keine 
schöne Stadt. Die Magdeburger und Leipziger, vor allem die feinen 
Dresdner, witzelten, daß man Halle eher röche als sähe. Das zielte auf die 
mit Salinendampf und Braunkohlendunst erfüllte Atmosphäre der Stadt, 
deren abschüssige Straßen mit ihrem schlechten Pflaster und sprichwörtlich 
gewordenen Schmutz damals sehr verrufen waren. Aber nicht umsonst hatte 
mir Daniel mit Thucydides gepredigt, daß der Mensch das Land habe und 
nicht das Land den Menschen. An die Menschen in Halle, vor allem an 
meinen lieben Professor Daniel, hatte ich mich mit ganzem Herzen an- 
geschlossen. Auch die Umgebung der Stadt bot manchen Reiz. Und in 
weiter Ferne winkten die Burgen, die stolz und kühn an der Saale hellem 
Strande stehn und wohin ich oft gewandert war: die zwei Türme von Saal- 
eck und hoch auf steiler Wand die Rudelsburg, das freundliche Kösen, 
Merseburg mit seinen stolzen Erinnerungen an Kaiser Otto den Großen, 
Naumburg, vor das die Hussiten zogen, die ganze Gegend war mir ans Herz 
gewachsen. 
Ich bin viel auf der Saale gefahren. Unsere Eltern hatten uns Emp- 
fehlungen an eine Reihe angesehener Familien in Halle verschafft, bei denen 
wir freundliche Aufnahme fanden. Eine distinguierte Dame aus diesen 
Kreisen schloß mich in ihr Herz. Im Gegensatz zu meinem Bruder Adolf, 
der eine spröde Natur war, ließ ich mir ihre Freundlichkeit wohlgefallen. 
An mehr als einem schönen Sommertag durfte ich sie nach Cröllwitz oder 
Giebichenstein, zur Raben- oder zur Nachtigallen-Insel führen. Sie war eine 
üppige Blondine, zwischen dreißig und vierzig Jahren. Sie zu rudern, war 
nicht ganz leicht. Auch hier galt das Wort des Hesiod, daß steil der Weg 
sei, der zum Gipfel hinaufführe. Sie hatte ein gutes, ja ein zärtliches Herz 
und kargte nicht mit dem Lohn der Minne, wenn wir nach der Wasserfahrt 
im freundlichen Schatten der die Saale umsäumenden Gebüsche oder im 
kühlen Zimmer eines ländlichen Wirtshauses der Ruhe pflegten. Als ich 
mich nach glücklich bestandenem Abiturienten-Examen bei ihr und ihrem 
Gatten verabschiedete, überreichte er mir ein Buch: Quinti Horatii Flacci 
Opera ad exemplar Londinense a Johanne Pine, Berolini, 1745, Sumtibus 
Ambrosii Haude, Bibliop. Reg. et Acad. Scient. privil. Dabei sagte er zu 
mir: „Mein junger Freund, meine liebe Frau hat mir Gutes über Sie gesagt. 
Sie scheinen ein wißbegieriger, ein fleißiger, ein tüchtiger Jüngling zu sein. 
Aber vergessen Sie über so lobenswerte Eigenschaften nicht, daß in des 
Lebens Lenz auch die Lebensfreude zu ihrem Recht kommen muß.“ Er
	        
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