Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Universität 
Leipzig 
Professor 
Roscher 
118 KLEIN-PARIS 
zugesehen haben mag, wie der kurz vorher von ihr applaudierte Torero von 
einem Stier aufgespießt wurde. Auch dieses betrübliche Erlebnis wurde mir 
zur Lehre. Ich verstand besser als vorher die Goethesche Mahnung: 
Die Welt ist nicht aus Brei und Mus geschaffen, 
Deswegen haltet euch nicht wie Schlaraffen. 
Harte Bissen gibt es zu kauen: 
Wir müssen erwürgen — oder sie verdauen. 
Einige Wochen später trennte ich mich von Lausanne. Es wurde mir 
nicht leicht, den schönen See zu verlassen, auf dessen freundliche Dörfer, 
dunkle Wälder, grüne Weiden und malerische Sennhütten ich einen weh- 
mütigen Abschiedsblick warf. Gewaltig türmten sich vor meinem Blick die 
Walliser und Savoyischen Berge, deren Majestät sich in den stillen, klaren 
Gewässern des Bleu Le&man abspiegelte. Welch ein Kontrast zwischen der 
Reinheit des Sees, der Schönheit seiner Ufer, der Harmonie der ganzen 
Landschaft und dem ruhelosen, friedlosen, bösen Treiben der Menschen, die 
so wenig erkennen, was zu ihrem wahren und ewigen Heile dient. 
Von Lausanne zog ich, da mein Vater meinen Wunsch, meine Studien 
in Bonn fortzusetzen, wiederum abgelehnt hatte, auf die Universität 
Leipzig. Bis Basel fuhr ich zusammen mit Frau von X. Wir stiegen in 
Basel in dem Hotel „Zu den drei Königen‘“ ab, aus dessen Fenstern man 
einen schönen Blick auf den raschströmenden Rhein hat. Von dort fuhr 
Frau von X. nach Paris, wo ihr Gatte sie erwartete. Wir haben uns nie 
wiedergesehen. Sie hat, wie ich hörte, bewundert und gefeiert als schöne 
Frau und glänzende Weltdame, ein hohes Alter erreicht. Ihre Töchter haben 
gute Partien gemacht. 
Ich fuhr von Basel nach Leipzig, das der Studiosus Frosch in Auerbachs 
Keller ein Klein-Paris nennt. Auch hier, wie in Lausanne, habe ich nur eine 
einzige Vorlesung besucht, die des Professors Wilhelm Roscher, des an- 
gesehenen Vertreters der historischen Methode in der Nationalökonomie. 
Er war ein feiner Geist, und dem entsprach sein Äußeres. Wenn er, sorg- 
fältig gekleidet, den Zylinder in der Hand, in den Hörsaal eintrat, den Hut 
auf einen Stuhl niederlegte, den eleganten Spazierstock in die Ecke stellte, 
die Manschetten vorzog und seinen Vortrag begann, verbreitete sich im 
ganzen Auditorium eine Atmosphäre der Wohlanständigkeit. Ich freue 
mich noch heute, daß ich Roscher gehört habe und aufmerksam und mit 
Nachdenken seinen Vorträgen gefolgt bin. Ich bin später unter dem Ein- 
fluß von Adolf Wagner und Gustav Schmoller über ihn hinausgegangen. 
Aber der von ihm gelegten Grundlage verdanke ich es, daß ich hierbei Maß 
hielt, mich vor Übertreibungen, vor Einseitigkeit, vor Phantastereien und 
Verstiegenheiten hütete. Sein „System der Volkswirtschaft‘ habe ich, den
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.