Reise in die
Schweiz
122 ZU FUSS DURCH DIE ALPEN
Bismarck sei ein sehr bedeutender Mann, den übrigen Konservativen und
Reaktionären unendlich überlegen, aber die Demokratie, den Fabrik-
arbeiter kenne er nicht. Über die Konsequenzen des allgemeinen Wahl-
rechts mache er sich Illusionen. Bismarck glaube, es werde ihm gelingen,
das allgemeine Wahlrecht in Deutschland nach seinem Willen zu lenken,
wie dies bisher Napoleon III. in Frankreich geglückt wäre. Das sei ein Irr-
tum. Das allgemeine Stimmrecht werde in Deutschland früher oder später
zur Herrschaft der Demokratie, zur Republik und zum Sozialismus führen.
Die Antwort der Gräfin Sofie Hatzfeldt auf die Besorgnisse der Leute um
Marx schloß: Lassalle hielte Fühlung mit Bismarck, um ihn in der Absicht
zu bestärken, für die Wahlen zum künftigen deutschen Parlament das
gleiche Wahlrecht zu gewähren. Aber im letzten Ende werde dabei nicht
Bismarck, sondern Lassalle der Gewinner sein.“
Im Hochsommer 1868 empfand ich wie der Schüler im „Faust“:
Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
Man sieht nichts Grünes, keinen Baum.
Ich sehnte mich zurück nach den Schweizer Bergen und trat schon vor
Beginn der Universitätsferien eine Schweizer Reise an. Auch hier liegt
mir die Absicht fern, Goethes Spuren zu folgen. Ich möchte nur mit wenigen
Strichen skizzieren, wie im Jahre 1868, zwischen Sadowa und Sedan, die
Schweizer Reise eines deutschen Jünglings vor sich ging. Ich marschierte
mit dem Rucksack, in dem das Allernotwendigste untergebracht war. Auf
den Rucksack war ein zusammengerollter Lodenmantel geschnallt. Da ich
nicht die Absicht hatte, das Matterhorn oder den Montblanc zu besteigen,
machte ich mich nicht durch einen Bergstock lächerlich, auf den der Selis-
berg und der Ütliberg eingebrannt werden, sondern mir genügte ein fester
Spazierstock. Einen kleinen Koffer schickte ich voraus, um alle acht bis
zehn Tage den Rucksack neu zu füllen. Ich marschierte meist allein, eine
Gewohnheit, an der ich auch später bei Fußreisen festgehalten habe. Das
verhinderte nicht, daß ich mich mit Landleuten, Hirten, Fischern, Jägern
und anderen im Personenverzeichnis des „Wilhelm Tell“ aufgeführten
biederen Schwyzern unterhielt.
Ich hatte mir vorgenommen, mich auf Schweizer Gebiet nur der „ca-
rozza dı San Francesco“ zu bedienen, d. h. nur meiner Füße, also nie mit
der Eisenbahn oder der Postkutsche zu fahren. Von Luzern, dem Aus-
gangspunkt meiner Fußreise, bestieg ich zunächst den Pilatus, am nächsten
Tag den Rigi und erlebte, vom Wetter begünstigt, herrliche Sonnenauf-
gänge. Von Flüelen nach Andermatt schlug ich den Weg ein, den der
wackere Wilhelm Tell dem Herzog von Schwaben, dem unglücklichen
Johann Parricida, empfiehlt. Ich sah die Brücke, welche stäubet, das