EINE ZWÖLFJÄHRIGE 125
bündener Feldoberst und Freiheitsheld ist, sollte ich erst viel später kennen-
lernen, im Januar 1896 in Meran. Den Dom von Chur habe ich noch später
wieder besucht, 1917, unter Führung des deutschfreundlichen prächtigen
Bischofs Georg Schmidt von Grüneck, in dessen altertümlichem Palais ich
mit meiner Frau einen schönen Tag verlebte.
In Leipzig wollte es mir nach meiner Rückkehr erst recht nicht ge-
fallen. Das von seinen Bewohnern sehr gerühmte Rosental vermochte mir
nicht die Gonge du Chauderon und die Rochers de Naye zu ersetzen. Um so
mehr bewunderte ich den Genius unseres großen und lieben Schiller, der in
Gohlis, dem netten, aber bescheidenen Dörfchen am Ende des Rosentals,
das Lied an die Freude gedichtet hat, diesen herrlichen Ausdruck eines
Idealismus, einer Liebe zur Menschheit, wie sie nur der Deutsche kennt.
Anfang 1869 siedelte ich nach Berlin über, wozu auch ein hartnäckiges Hals-
leiden beitrug, das meine Eltern wünschen ließ, mich in ihrer Nähe zu
haben. Es handelte sich um Mandelanschwellungen, die mit Höllenstein be-
handelt wurden. Meine Eltern bewohnten den ersten Stock im Arnimschen
Palais am Pariser Platz, wo sich jetzt die Akademie der bildenden Künste
befindet.
Dort war es, daß zum zweitenmal der Tod mir nahetrat und Schmerz
und Jammer in mein Elternhaus einzogen. Der Tod meiner einzigen, zwölf-
jährigen Schwester Bertha riß eine tiefere Lücke und schlug eine schmerz-
lichere Wunde als fünfzehn Jahre früher der Heimgang meines kaum zwei-
jährigen Brüderchens Waldemar. Sie war ein auffallend schönes und auf-
fallend begabtes Kind, mit großen blauen Augen und herrlichem blondem
Haar, ein echt deutsches Kind. Sie erlag in wenigen Tagen der Diphtheritis,
gegen die damals noch kein Serum entdeckt war. Sie war tapfer bis zum
letzten Augenblick. Mein Vater betete mit ihr das Vaterunser und den
23. Psalm (Der Herr ist mein Hirte). Ihre letzten Worte waren ein Vers aus
dem alten Herrnhuter Lied:
Muß ich auch gleich vor andern
Im finstern Tale wandern,
Dein Stab, Herr, und dein Stecken
Benimmt mir allen Schrecken.
Dann schloß sie die Augen am 25. Januar 1870. Sie wurde auf dem
Zwölfapostel-Kirchhof in Berlin beigesetzt, wo auch meine Eltern und zwei
meiner Brüder, die Generäle Adolf und Karl Ulrich, ruhen.
Schöne Blume, holde, reine,
Christus wollte selbst dein warten,
Drum hat er dich eingepflanzet
In des Paradieses Garten.
Nach Berlin
Tod
der Schwester
Bertha