Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

lrklärungen 
Olliviers 
128 DEM FRIEDEN DROHT KEINE GEFAHR 
sein Bruder Adolf gestanden hatte. Aber im Sommer 1870 erschien sein 
Fall fast hoffnungslos. Um das Maß der auf meinem Vater lastenden Sorgen 
vollzumachen, hatte sich mein jüngster Bruder, Fritz, eine schlimme 
Verletzung des Rückgrats zugezogen. Der zarte Kleine ging einer langen 
Liegekur entgegen. 
Die politische Lage, insbesondere die auswärtige Lage betrachtete mein 
Vater mit Ruhe. Er erzählte mir, der Unterstaatssekretär im Auswärtigen 
Amt, Herr von Thile, habe dem österreichisch-ungarischen Geschäftsträger, 
Baron Münch, unserm alten Frankfurter Bekannten, den ich sieben Jahre 
später in Athen wiedertreffen sollte, gesagt, daß in der politischen Welt 
„tiefe Ruhe“ herrsche und daß sich infolgedessen die auswärtigen Ver- 
treter fast alle aus Berlin entfernt hätten. Auch er, der Unterstaatssekretär, 
gedenke bald seine gewohnte Kur in Marienbad anzutreten. In der 
französischen Presse stand zu lesen, daß der französische Ministerpräsident 
Ollivier im Corps legislatif geäußert habe, zu keiner Zeit sei die 
Aufrechterhaltung des Friedens gesicherter gewesen. Wohin man auch 
blicke, nirgends könne man eine Frage entdecken, die Gefahr in sich berge. 
Überall hätten die Kabinette begriffen, daß die Achtung vor den Verträgen 
sich jedermann aufdränge, vor allem die Achtung vor den beiden Verträgen, 
auf denen der europäische Friede ruhe: vor dem Pariser Vertrag von 1856, 
der für den Orient, und vor dem Prager Vertrag, der für Deutschland den 
Frieden sichere. 
Die Herren, mit denen ich in Oeynhausen an der Table d’höte zusammen 
speiste, die damals noch nicht durch Einzeltische ersetzt worden war und 
die mich in ihrer altväterischen Feierlichkeit, wenigstens in der Rück- 
erinnerung, ebenso sympathisch anmutet wie die Frangaise und der Walzer 
im Ballsaal und die goldenen Tabatitren der älteren Herren, waren darüber 
einig, daß dem Frieden keine Gefahr drohe. König Wilhelm sei gewissenhaft 
und hochbejahrt. Kaiser Napoleon laboriere an Nierensteinen. „Lui“, so 
wurde Napoleon Ill. unter Anspielung auf seinen Namen „Louis“ scherzhaft 
genannt, wolle von nun an streng konstitutionell regieren, zu welchem 
Zweck er sich einen aufgeklärten und tugendhaften Ministerpräsidenten, 
den liberalen Parlamentarier Emile Ollivier, ausgesucht habe. Weder der 
eine noch der andere der beiden Souveräne würde es auf einen Krieg an- 
kommen lassen. Darin stimmten der frühere preußische Gesandte in 
Dresden, Herr von der Schulenburg, der baumlange Major von den 
4. Kürassieren, Herr von Rosenberg, der Ulanenrittmeister von Willich und 
ein liebenswürdiger Kölner Patrizier, Herr von Grote, überein. „Unsere 
Generation sieht keinen Krieg mehr“, diese Ansicht, der ich schon in Berlin 
begegnet war, herrschte auch in unserem kleinen Kreise in Bad Oeynhausen. 
So sprachen sich auch die wenigen Fremden aus, die sich dort aufhielten:
	        
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