DIE EMSER DEPESCHE 129
ein italienischer Diplomat, Graf P., der sich in einem vorgerückten Stadium
der Rückenmarkschwindsucht zu befinden schien, und seine hübsche und
kokette Gattin, ebenso wie ein brillanter Franzose, Graf O., der das
italienische Ehepaar aus Paris nach Oeynhausen begleitet hatte und der
reizenden Gräfin zu Füßen lag. Auch zwei Engländer glaubten nicht an
Krieg, die nach einer Rheinreise das Bedürfnis empfanden, den Teutoburger
Wald und die Porta Westphalica, die berühmte Berglücke am Nordende
des Wesergebirges, kennenzulernen, und die sich aus diesem Anlaß bis nach
Oeynhausen verirrt hatten, das sie „a charming place“ fanden.
Die Nachricht, daß der älteste Sohn des biederen Fürsten Karl Anton
von Hohenzollern zum König von Spanien gewählt werden sollte, ließ uns
alle vollkommen gleichgültig. Prinz Karl von Hohenzollern saß seit vier
Jahren auf dem rumänischen Thron, ohne daß deshalb die Welt unter-
gegangen wäre. Er stand sogar gut mit Kaiser Napoleon III., mit dem er
ziemlich nahe verwandt war. Warum sollte der ältere Bruder, Leopold,
nicht, von den Spaniern gewählt, nach Madrid ziehen? Die aufgeregte
Sprache der französischen Presse wurde nicht ernst genommen, nicht einmal
vom Grafen O. Die schroffe Erklärung des französischen Ministers des
Äußern, des Herzogs von Grammont, vom 6. Juli mißfiel. Rosenberg und
Willich, der Kürassier und der Ulan, fanden die Franzosen ‚reichlich
unverschämt“. Herr von der Schulenburg aber meinte mit der abgeklärten
Ruhe eines alten Gesandten, die europäische Diplomatie würde mit be-
währter Umsicht jeder ernstlichen Feuersgefahr vorbeugen. Schon
Metternich habe gesagt, es sei die vornehmste Aufgabe des Diplomaten,
mit dem Löscheimer herbeizueilen, wo ein Brand drohe. Der Bundeskanzler
habe während der Luxemburger Differenz, die ernster gewesen sei als
der künstliche Lärm wegen der spanischen Thronkandidatur, deutlich
gezeigt, daß er keinen Krieg wolle. Es werde ihm auch jetzt gelingen, den
Frieden zu erhalten. Daß Graf Bismarck ruhig in Varzin bleibe, sei ein
gutes Zeichen. So verstrich die Woche zwischen dem 4. und dem 12. Juli
unter allerlei Kannegießerei über den fast kindischen, jedenfalls bedeutungs-
losen Lärm der Pariser Journalisten. Was ich später hörte, läßt mich
glauben, daß es in ganz Deutschland nicht viel anders aussah als in dem
idyllischen Bade an der Werra.
Am 12. Juli war ich mit dem Major von Rosenberg zur Bahnstation
gegangen, um zu hören, was es Neues gebe. Der Berliner Schnellzug war
gerade eingelaufen und hatte fünf Minuten Aufenthalt. Aus dem Wagen-
fenster reichte uns ein Reisender auf den Bahnsteig, auf dem wir standen,
ein Extrablatt. Es brachte das Telegramm, das der Bundeskanzler Graf
Bismarck zur Information und Orientierung an die Missionen des Nord-
deutschen Bundes gerichtet hatte.
9 Bülow IV
Die spanische
Thron-
Kandidatur