Gespräch in
der Eisenbahn
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für besondere Aufträge zugeteilt, wo ich ihm sechs Jahre lang täglich
begegnete.
Ich verließ Oeynhausen, versehen mit zwei Rezepten des guten Dr. Cohn
für den Fall einer akuten Halsentzündung. Ich darf schon hier sagen, daß
ich während des ganzen Krieges keinen Gebrauch von diesen Rezepten zu
machen brauchte. Das verdanke ich in erster Linie der Gnade Gottes. Ich
möchte darin aber auch einen Beweis dafür erblicken, daß Luft und
Bewegung die besten aller Medikamente sind. An der Bahn begegnete ich
dem Grafen O., der über Köln nach Paris zurückkehren wollte. Er forderte
mich auf, mit ihm zusammen zu fahren. Graf O. war der typische Franzose
aus der Zeit des Second Empire: lebhaft, mitteilsam, voll Selbstgefühl, ein
Fanfaron, naiv davon überzeugt, daß la belle France nicht nur von allen
Völkern des Erdballs bewundert und angebetet werde, sondern daß ihr
auch von Rechts und Gottes wegen die „‚preponderance legitime“ in der Welt
gebühre. „Reine du monde, 6 France, ö ma patrie!“ hatte ein echt fran-
zösischer Dichter, Beranger, schon vier Jahre nach Waterloo gesungen.
Aber der Franzose der alten Zeit war bei allen seinen Schwächen und
Feblern nicht ohne Bonhomie. Er hatte sogar Augenblicke, wo er groß-
mütiger Handlungen und ritterlicher Gesinnung fähig war. Nachdem die
Franzosen mit Hilfe von England, Rußland, Italien, Rumänien, Serbien
und Portugal und schließlich auch von Amerika, also mit ungeheurer
militärischer Übermacht, den Deutschen, der überdies politisch jämmerlich,
ohne Energie, ohne Geschick geführt wurde, nach dessen vierjährigem
heroischem Widerstand nicht militärisch besiegt, sondern durch plumpes
Kraftaufgebot überwältigt hatten, kam nach 1918 unverhüllt die echte
gallische Natur zum Vorschein, die der geistreichste Franzose, Voltaire,
als eine Mischung vom Affen und vom Tiger bezeichnet hat. Graf
O. gehörte der älteren Generation an, der Generation vor Poincare und
Clemenceau, vor den Generälen Degoutte, de Metz und Mangin, die
sich bemühten, dem General Melac nachzueifern, der unter Ludwig XIV.
die Pfalz verwüstete und nach dem lange Zeit der Pfälzer Bauer einen
bösen Hund zu nennen pflegte. Graf O. frug mich, sobald sich der Zug in
Bewegung setzte, weshalb ich nach Köln fahre. Als ich ihm erwiderte, daß
ich mich als Kriegsfreiwilliger melden wolle, meinte er gutmütig: „Mais,
mon jeune ami, vous &tes f...u! Vous et votre armee et votre pauvre
pays. Vous voulez resister a l’armee francaise? Mais c’est insense! Nous
avons rosse les Autrichiens a Magenta et a Solferino. Nous avons
rosse les Russes en Crimee. Nous aurions rosse les Anglais s’ils avaient
ose se mesurer avec nous. L’armee francaise est invincible, tout le monde
le sait.‘“ Er zog darauf seine Visitenkarte heraus, auf die er mit freundlichem
und gutmütigem Ausdruck einige Worte schrieb. Er sei überzeugt, meinte