138 STRIEGELN
ich in Bonn abgestiegen wäre. Der Herr Major würde mir Bescheid sagen
lassen.
Im Laufe des Abends erfuhr ich durch eine Ordonnanz, daß ich mich am
nächsten Morgen wieder in der Sterntorkaserne einzufinden hätte. Ich sollte
vom Regimentsarzt Mayweg untersucht, dann eventuelleingekleidet werden.
Dr. Mayweg, augenscheinlich ein bequemer Herr, hatte die Freundlichkeit,
nur meinen Brustkorb zu beklopfen und Arme und Beine zu befühlen und,
nachdem er alles in bestem Zustand gefunden hatte, mir gar nicht in den
Hals zu sehen, obwohl ich heiser sprach. Dann wurde ich auf die Kammer
geführt und eingekleidet. Das war einer der wirklich schönen Augenblicke
meines Lebens. Als ich in die stramm sitzenden Hosen mit Lederbesatz
gefahren war, in die prächtigen Husarenstiefel mit gelber Borte, als ich den
blauen Attila mit gelben Schnüren angelegt, die Pelzmütze mit der Kokarde
aufgesetzt, die Schuppenkette heruntergenommen und als ich gar den
breiten Husarensäbel umgeschnallt hatte, kam ich mir wie ein König vor.
Was kostet die Welt? Stolz und vergnügt bezog ich die kleine Wohnung, die
ich in der Meckenheimer Landstraße mietete.
Am nächsten Tage um fünf Uhr begann der Stalldienst. Ich hatte einen
Schwadronsgaul zu putzen. Ich hatte schon viele Pferde geritten, aber
noch nie ein Pferd geputzt. Das sieht leichter aus, als es ist. Mein Gaul war
kitzelig. Man lief Gefahr, von ihm einen Schlag vor das Schienbein zu
erhalten oder einen wuchtigen Tritt auf die große Zehe, und sollte ihn doch
gut putzen. Der Striegel, mit dem der Kavallerist putzt, wird auf dem
Damm ausgeklopft, um damit die sogenannten Striche zu erzielen. Je mehr
Striche, desto besser. Keine Beschäftigung konnte nützlicher für mich sein
als das Striegeln. Ich schrieb am Tage nach meiner Einkleidung an meinen
Vater: „Gestern morgen sind wir eingekleidet worden. Ich habe mich schon
zwei Stunden damit beschäftigt, im Drillich Pferde zu putzen. Ich fühle
mich wie ein Fisch im Wasser, obwohl ich den ganzen Tag im Freien bin,
auch abends im Garten bis um elf Uhr sitze.““ Ich bin überzeugt, daß einige
Wochen Striegeln für jeden jungen Menschen gut ist, insbesondere für den
leider nur zu oft verstiegenen deutschen Intellektuellen, bei dem der alte
gute Römerspruch „Mens sana in corpore sano“ bisweilen umzuwandeln
wäre in „In corpore non sano, mens haud sana“. Auch der Stallwacht
erinnere ich mich gern, des Wieherns der Pferde, ihres gelegentlichen
Ausschlagens und Krippensteigens, wo dann Ruhe zu stiften war.
Auch der Tüchtige kommt im Leben, und namentlich in seiner Jugend,
in den Anfangsstadien schwer voran, wenn ihm nicht ab und zu wohlwollend
unter die Arme gegriffen wird. Wie ich mich dankbar der Geheimen Räte
im Auswärtigen Amte erinnere, die mich im Winter 1873/74 mit der
Technik und dem Handwerkszeug des diplomatischen Dienstes vertraut