140 THALIENS JÜNGERIN
zum Anbeißen. Mit dem Ausdruck innigen Mitleids blickte sie auf mich.
„sie armes Kind‘, seufzte sie, „müssen Sie wirklich schon in den Krieg?“
Erläuternd muß ich hierzu bemerken, daß ich, obwohl ich drei Monate
vorher einundzwanzig Jahre alt geworden war, noch so jung aussah, daß
man mich meist auf achtzehn, bisweilen auf siebzehn Jahre schätzte. Ich
hörte das aber nicht gern. Der nie zufriedene Mensch möchte in seiner
Jugend älter, in seinem Alter jünger erscheinen. So erwiderte ich in pikiertem
Ton, noch halb verschlafen: „Ich bin kein Kind. Ich bin ein Mann und ein
Husar, und ich will in den Krieg!“ Inzwischen war ich ganz wach ge-
worden. Und da die junge Dame wirklich sehr nett aussah, führte ich das
Gespräch mit ihr, die mein Ärger ungemein zu belustigen schien, in freund-
licherem Tone fort.
Wir suchten uns auf dem schwach besetzten Schiff eine Bank, wo
wir ungestört plaudern konnten. Ich sagte ihr, woher ich käm’ der Fahrt
und wie mein Nam’ und Art. Sie erzählte mir, daß sie eine Jüngerin
der Thalia sei, eine Schauspielerin. Sie war an süddeutschen Bühnen als
Naive aufgetreten, nicht ohne Erfolg. Nun fuhr sie über Köln nach Berlin,
wohin sie ein Engagement angenommen hatte. Sie sollte am nächsten
Abend dort eintreffen und am darauffolgenden zum erstenmal auftreten.
Sie schwätzte anmutig und unschuldig wie eine junge Schwalbe, die auf
dem Dachfirst zwitschert. Sie vertraute mir noch mehr an. Das schöne Kind
hatte trotz seiner Jugend schon einen Roman hinter sich, einen schmerz-
lichen Roman. Sie war während eines Jahres die Freundin eines Prinzen
gewesen, der sich von ihr hatte trennen müssen, als sein gestrenger Vater
ihn zu einer standesgemäßen Heirat mit einer häßlichen, aber ebenbürtigen
Prinzessin zwang. Die Wunde, die diese Untreue dem Herzen der armen
Naiven geschlagen hatte, war noch nicht vernarbt. Ich beeilte mich, ihr
auseinanderzusetzen, daß eine unglückliche Liebe homöopathisch behandelt
werden müsse, nach den Grundsätzen des Herrn Professor Hahnemann,
dessen Denkmal ich vor nicht langer Zeit auf dem Theaterplatz in Leipzig
bewundert hätte: „Similia Similibus!““ Nur eine neue Liebe könne Heilung
bringen. Lateinisch verstand sie nicht, aber den Sinn meiner Ausführungen
schien sie zu begreifen.
Als der Tag sank, trafen wir in Köln ein. In einem kleinen Restaurant
aßen wir zu Abend, im Freien, mit dem Blick auf den Rhein. Wie sie sich
das frugale Abendessen schmecken ließ, ein Kotelett mit Bratkartoffeln,
wie sie aus einem grünen Glase billigen Josefshöfer nippte, das war nun
zum Entzücken gar. Nach dem Abendbrot promenierten wir Arm in Arm
am Rhein und auf dem Platz vor dem ‚ewigen Dom“, während der Mond
am Himmel emporstieg und der liebe Gott nach und nach seine Sterne an-
zündete. Wir kehrten dann in ein Hotel ein, dessen ich mich aus meiner