Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

ITALIENS EGOISMUS 153 
Risorgimento, der italienischen Nationalbewegung, die zur Errichtung 
eines einigen und selbständigen Italien mit der Hauptstadt Rom führte. 
An deniselben Tage, wo Rouher sein „Jamais!“ in die Welt gerufen hatte, 
erklärte mit kühler Ruhe in Florenz der Ministerpräsident Menabrea in 
der Italienischen Kammer: „Rom ist für Italien ebenso wichtig wie Paris 
für Frankreich.“ Ich habe Graf Luigi Federigo Menabrea sechzehn Jahre 
später in Paris kennengelernt, wo er inzwischen italienischer Botschafter 
geworden war. Er war ein gläubiger und eifriger Kathulik. „Les Italiens ont 
le genie de la juxtaposition‘‘, meint Anatole France. 
Der Sieger von Mentana, General Failly, hatte seinen Bericht über die 
Niederlage der Rothemden mit der französischen Militärs eigenen Ruhm- 
redigkeit geschlossen: „„Les chasseputs ont fait merveille.‘“ In Italien wurde 
diese Fanfaronnade bitter empfunden. Die Römische Frage stand also 
trennend zwischen den beiden großen romanischen Völkern. Immerhin 
waren die Beziehungen zwischen den Kabinetten von Paris und Florenz 
nach wie vor intim. König Viktor Emanuel hatte die französische Waffen- 
hilfe von 1859 nicht vergessen, sein Minister des Äußern, Visconti-Venosta, 
war ein ausgesprochener Franzosenfreund und ist das innerlich auch in der 
Dreibundzeit geblieben. Namentlich in Norditalien, vor allem in der Lom- 
bardei, waren die Sympathien für Frankreich noch lebendig und recht ver- 
breitet. Alles in allem läßt sich sagen, daß, als sich im Juli 1870 die Kriegs- 
wolken zusammenzogen, die offiziellen italienischen Kreise französisch 
orientiert waren. Andererseits sind die Italiener seit jeher gewöhnt gewesen, 
auswärtige Politik nicht mit dem Gefühl, sondern mit dem Kopf zu machen. 
Es war auch im Sommer 1870 zu erwarten, daß sie sich an die mit Frank- 
reich getroffenen Abmachungen nur so lange gebunden fühlen würden, wie 
sich diese Verpflichtungen mit dem italienischen Staatsinteresse deckten. 
Der „‚sacro egoismo“ wurde 1870 in Italien nicht so offenherzig proklamiert 
wie 1915, aber er war auch damals die im letzten Ende entscheidende Richt- 
schnur der italienischen Politik, die mit kühler Berechnung alle Chancen 
erwog und abwog und wohl wußte, daß nicht nur auf militärischem Gebiet, 
sondern auch für die Politik das Wort des großen Moltke gilt: „Erst wägen, 
dann wagen.‘ Nicht umgekehrt. 
In Wien lagen die Dinge anders als in Florenz. Der Kaiser, die Erz- 
herzöge, der bedeutendste von ihnen, Erzherzog Albrecht, an der Spitze, 
der im alten Österreich so einflußreiche Hochadel konnten den Augenblick 
kaum erwarten, Rache für 1866 zu nchmen. Nur zu diesem Zweck war 
wenige Monate nach dem Abschluß des Prager Friedens der giftigste 
Gegner, den Preußen in der Welt besaß, der sächsische Ministerpräsident 
Beust, als österreichischer Minister des Äußern nach Wien gezogen worden, 
der seinem Ziele, den Status quo ante 1866 in Deutschland wiederherzu- 
Beusts Ziel
	        
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