Preußen
und Italien
154 OHNE ALLIANZEN
stellen, jede andere Rücksicht der österreichischen Politik opferte. Nur des-
halb wurden den Magyaren Hals über Kopf alle Forderungen bewilligt, die
sie seit langem vergeblich erhoben hatten. Aus dem alten österreichischen
Gesamtstaat des Kaisers Ferdinand und der Kaiserin Maria Theresia, des
Fürsten Wenzel Kaunitz und des Fürsten Klemens Metternich wurde die
österreichisch-ungarische Monarchie, ein schwerfälliges und ungefüges Ge-
bilde, dessen beide Hälften, Zisleithanien und Transleithanien, sich oft
gegenseitig lähmten und die bisweilen offen und laut miteinander haderten.
Immerhin war 1870 die habsburgische Monarchie, war „Altösterreich an
Ehren und an Siegen reich“ noch eine Großmacht, war die auf den Schlacht-
feldern der Lombardei mit Blut besiegelte französisch-italienische Freund-
schaft noch lange nicht erstorben.
Während also Frankreich berechtigt war, im Kriegsfall bei den leitenden
österreichischen Kreisen auf bereitwilligen und sofortigen Anschluß, in
Italien mindestens auf eine für Frankreich sehr wohlwollende Neutralität,
vielleicht sogar auf spätere Kooperation zu rechnen, stand der von Preußen
begründete Norddeutsche Bund allein, ohne jede außerdeutsche Allianz.
Mit Italien hatte Preußen im April 1866 nur eine auf drei Monate befristete
Übereinkunft für den Fall geschlossen, daß Österreich mit Preußen über die
Reform der deutschen Bundesverfassung, mit Italien wegen der Österreich
unterworfenen italienischen Gebiete in Krieg geraten sollte. Bei diesem An-
laß hatte König Wilhelm dem italienischen Unterhändler, dem General
Govone, ausdrücklich erklärt, er wisse, daß nichts die Bande lösen könne,
die Italien mit Frankreich vereinigten. Der Ausgang des Krieges von 1866
hatte nicht zu einer dauernden Festigung der Beziehungen zwischen den
Waffengefährten von 1866, sondern eher zu einer Entfremdung geführt.
Sie fand schon 1866 ihren Ausdruck in gereizten Auseinandersetzungen über
die vom preußischen Gesandten in Florenz, Graf Guido Usedom, am
17. Juni 1866 an den damaligen italienischen Ministerpräsidenten, den
General Alfonso Lamarmora, gerichtete Note, die zwei Jahre später, als sie
bekannt wurde, von Bismarck schroff desavouiert wurde. In dieser Note
hatte der preußische Vertreter den italienischen Ministerpräsidenten er-
mahnt, die Offensive gegen Österreich bis auf das Äußerste, d. h. bis unter
die Mauern von Wien, zu treiben, die österreichische Macht müsse „ins
Herz‘“ getroffen werden, das Kriegssystem, welches Preußen für den bevor-
stehenden Krieg vorschlage, sei das eines gründlichen Krieges (guerre a
fond). Die Desavouierung des Usedomschen Exzitatoriums durch die Ber-
liner leitende Stelle hatte die durch dieses Schriftstück in Wien neuerdings
hervorgerufene Erbitterung nicht besänftigt, in Italien Mißfallen und Miß-
trauen hervorgerufen.
Zwischen uns und England bestand 1870 keinerlei Reibungsfläche, Die