Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DOWNING STREET UND WILHELMSTRASSE 155 
englische Suprematie in Industrie, Handel und Schiffahrt war unbestritten, 
an den Bau von Kriegsschiffen dachte bei uns kein Mensch. Die Königin 
von England war, was sie bis an ihr Lebensende geblieben ist, dem Deutsch- 
tum und den Deutschen wohlgesinnt, dagegen zogen ihren ältesten Sohn, 
den damals noch nicht dreißigjährigen Prinzen von Wales, den nachmaligen 
König Eduard VII., Neigung und Herz weit mehr nach Paris als nach 
Berlin. Seine in England durch Takt und Anmut rasch populär gewordene 
Gemahlin Alexandra war als dänische Prinzessin seit Düppel und Alsen 
ausgesprochen preußenfeindlich. Alles in allem erschien Deutschland den 
meisten Engländern politisch als Quantite negligeable, als ein Staat, der 
nur den Gelehrten interessierte, auf den aber der englische Politiker mit 
Gleichgültigkeit, hier und da mit Spott, bisweilen mit verletzendem Hoch- 
mut blickte. Mit Frankreich hatte England im Laufe der Jahrhunderte 
wiederholt in langen und schweren Kriegen um die Weltherrschaft ge- 
rungen, dann wieder hatte zwischen beiden Ländern ein freundschaftliches 
Verhältnis bestanden, das schon in den Tagen des Bürgerkönigs Louis 
Philippe, noch mehr während des Second Empire als „Entente cordiale“ 
bezeichnet worden war, und im Krimkriege hatten Engländer und Fran- 
zosen Schulter an Schulter gefochten. Es war anzunehmen, daß die Haltung 
der englischen Regierung gegenüber einem deutsch-französischen Kriege 
von dem militärischen Gang der Ereignisse, aber auch von der diploma- 
tischen Geschicklichkeit der Belligerenten abhängen würde. Wenn die höfi- 
schen Beziehungen, die Berlin und London verbanden, schon wegen der 
nahen Verwandtschaft intimer waren als die des Hauses Hannover-Koburg 
zu der Familie Bonaparte, so war das diplomatische Verhältnis zwischen 
dem Quai d’Orsay und Downing Street fester fundiert als zwischen 
Downing Street und der Wilhelmstraße. 
Der Angelpunkt seiner Politik war für Bismarck seit seinem Amtsantritt 
das Verhältnis zu Rußland. Nicht aus Gründen persönlicher Sympathie 
oder Antipathie. Ich will damit nicht bestreiten, daß das alte, autokratisch 
regierte zaristische Rußland Bismarck im Grunde kongenialer war als das 
parlamentarische England. Es ging ihm in dieser Beziehung umgekehrt wie 
den meisten deutschen Intellektuellen. Entscheidend war für Bismarck nur 
die Erwägung, daß die Auseinandersetzung .mit Österreich über die 
Vorherrschaft in Deutschland und die daraus hervorgehende Einigung 
Deutschlands gegenüber einem eventuellen französischen Widerspruch 
nicht durchzuführen waren ohne wohlwollende Rückendeckung durch Ruß- 
land. Die Konvention, die Bismarck am 18. Februar 1863, wenige Monate 
nach seiner Ernennung, mit der russischen Regierung über ein gemeinsames 
Handeln gegenüber der polnischen Insurrektion abgeschlossen hatte, 
wurde für ihn das Sprungbrett für alle seine weiteren Erfolge. Es ist für 
Englands 
Politik 
Bismarck 
und Rußland
	        
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