Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Preußen 
und Bayern 
158 DIE FEUERPROBE 
nicht der Zar von Rußland, sondern der König von Polen herrsche. (Bravo 
in der polnischen Fraktion.) Welcher Anlaß war bei der so plötzlich auf- 
tauchenden polnischen Verwicklung für unsere Regierung, für eine positive, 
fruchtbare, schöpferische Politik eröffnet! Wenn unser Ministerium diese 
polnische Sache selbst in die Hand nahm, mit dem redlichen Willen, endlich 
diesen Stachel aus der Ferse Europas herauszuziehen, endlich diese alte 
europäische Wunde schließen zu helfen, welche Stellung hätte es dann in 
Europa und im eigenen Lande eingenommen!“ Das war der Geist, in dem 
ein halbes Jahrhundert später Theobald Bethmann und Gottlieb Jagow 
unter dem Beifall politischer Ideologen wie Hans Delbrück und Friedrich 
Naumann Polen wiederherstellten und damit den größten Fehler begingen, 
den nach und neben dem Ultimatum an Serbien deutsche Politiker je be- 
gangen haben. 
Durch die bereits erwähnte geniale Emser Depesche hatte Bismarck im 
Innern den Furor teutonicus entfesselt und eine einheitliche deutsche 
Kampffront hergestellt. Nach außen verließ er sich darauf, daß der an 
seiner empfindlichsten Stelle, in der Polnischen Frage, von der Wiener 
Regierung froissierte Zar es den Österreichern nicht gestatten würde, dem 
gegen den alten Beschützer der Polen, die Franzosen, kämpfenden Preußen 
in den Rücken zu fallen. Das hoffte Bismarck um so mehr, als der Kaiser 
Alexander II. während des Besuchs, den er im Juni 1867 der Pariser Welt- 
ausstellung abstattete, auf französischem Boden von polnischer Seite 
roh beleidigt und lebensgefährlich bedroht worden war. Als der Zar am 
4. Juni das Palais de Justice, eine der Sehenswürdigkeiten von Paris, be- 
sichtigte, trat ihm dort ein bärtiger junger Mann in den Weg mit dem Ruf: 
„Vive la Pologne, Monsieur!“ Dieser gesinnungstüchtige Rüpel, wie Heines 
Atta Troll ein Sohn der Pyrenäen, war der in dem malerischen Städtchen 
Saint-Jean-de-Luz geborene, damals noch nicht vierzigjährige Advokat 
Charles Floquet. Er ist einundzwanzig Jahre später französischer Minister- 
präsident geworden, aber allerdings erst, nachdem er, der zur Unzeit Männer- 
stolz vor Königsthronen markierte, vor dem Botschafter des Zaren in Paris 
de- und wehmütig Abbitte geleistet hatte. Ermutigt durch Floquet, schoß 
vierzig Stunden später, am 6. Juni 1867, bei Gelegenheit der großen Revue 
im Bois de Boulogne der Pole Berezowsky auf AlexanderII. Paris und 
Frankreich waren dem Russenkaiser gründlich verleidet worden. 
Im Juli 1870 zeigte sich, wie weise Bismarck gehandelt hatte, als er 
vier Jahre früher seinen alten König nicht ohne Mühe bewogen hatte, auf 
alle Gebietserweiterungen in Süddeutschland zu verzichten und statt dessen 
mit den süddeutschen Staaten für den Fall eines Krieges Schutz- und Trutz- 
bündnisse abzuschließen. Sie haben die Feuerprobe bestanden. Zweifelhaft 
erschien die Sache anfangs nur in Bayern. Die Entscheidung gab der junge
	        
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