160 EIN STUHL WIRD GESCHLEUDERT
der Ansicht Ausdruck gab, Bayern werde im Falle eines Sieges der
Preußen von diesen übel behandelt werden, von Frankreich aber nie-
mals, denn das würde ja gegen das eigene Interesse der Franzosen ver-
stoßen, da erhob sich der Freiherr von Stauffenberg noch einmal mit zorn-
geröteten Wangen. Er ergriff einen in seiner Nähe stehenden Stuhl, und
mit gewaltigem Wurf schleuderte er ihn nach Jörg. Das auf den dicht-
gedrängten Galerien versammelte Publikum brach in stürmischen Beifall
aus. Jörg, dessen Courage offenbar nicht auf der Höhe seiner niederträch-
tigen Gesinnung stand, verlor den Faden seiner Rede und schloß mit der
mehr gestammelten als gesprochenen Erklärung, er sei ein Mann, der sich
Zeit seines Lebens mit Politik und mit der Beobachtung öffentlicher Dinge
beschäftigt habe, deshalb habe sein Urteil Wert und Bedeutung. Der Krieg
von 1870 sei nur die Folge von 1866 und gehe Bayern gar nichts an. Voll
Würde, fest und ruhig antwortete der Ministerpräsident, Graf Bray, dem
„Patrioten“ Jörg: „Der Fall des Vertrages liegt vor, wir müssen Stellung
zu Deutschland nehmen.‘ Stürmischer Beifall der Liberalen und der Tri-
bünen erscholl nach diesen Worten. Der Ministerpräsident schloß: „Ich habe
nicht bis jetzt gelebt, um heute meine Anschauungen, meine Unterschrift
zu verleugnen.“
Nach ihm richtete, wie er selbst hervorhob, nicht als Politiker,
nicht als Jurist, nur als Soldat, als ein echter Bayer, als ein Alt-Bayer,
aber auch als ein Deutscher, der wackere Kriegsminister, Freiherr
von Prankh, in markiger Rede im Namen der Regierung einen letzten
Appell an die Kammer: „Halten wir zu Deutschland, sonst sind wir ent-
ehrt, sind wir verloren!“ Umsonst versuchten die „Patrioten“ Dr. Ruhland
und Dr. Westermayer, Prälat und Pfarrer von Sankt Peter in München, in
seiner kirchlichen Stellung mehr Hetzer als Priester, ihrem Parteiführer
Jörg zu helfen. Der erstere protestierte dagegen, daß man bayrische Landes-
kinder in einen blutigen Kampf jage, gegen einen Feind, der die Bayern
persönlich nie beleidigt habe. Herr Dr. Westermayer meinte scheinheilig, es
gebe einen Standpunkt der Moral, wo die Sorge für den eigenen Herd und
Hof vorangehe der Hilfeleistung für den bedrohten Nachbarn. Bei diesem
Satz wurde Westermayer von einem Sturm der Entrüstung und einem
„Pfui“ der Linken und der Galerie unterbrochen. Als er andeutete, die
bayrische Pfalz habe ein dringendes Interesse daran, daß Bayern bei einem
deutsch-französischen Kriege neutral bleibe, protestierten die anwesenden
Pfälzer Abgeordneten und riefen, die Pfalz kenne die ihr drohende Gefahr,
‚aber sie wolle mit den deutschen Brüdern gehen. Als die Galerie den (im
wahrsten Sinne) patriotischen Pfälzern zujubelte, drohte der Kammer-
präsident Weiß, auch ein „Patriot“, die Galerie räumen zu lassen, wagte
aber schließlich nicht, seine Absicht auszuführen.