Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DIE LEERE LOGE 169 
erzählt, in Europa habe, nach Berichten arabischer Händler, ein großer 
Krieg zwischen schwarzhaarigen Franzosen und einem blondhaarigen Volke 
stattgefunden. Der Sultan der Blondhaarigen habe den Sultan der 
Schwarzhaarigen besiegt und ihn als Gefangenen auf einen hohen Berg 
geschleppt. Dort habe der Teufel den besiegten Sultan beim Schopf gepackt 
und sei mit ihm durch die Luft davongeflogen. So malte sich die Schlacht 
von Sedan in der Phantasie der Neger von Bornu. Und noch dreißig Jahre 
nach Sedan sagte mir einmal ein treuer Patriot, Ernst Bassermann: „Wer 
Sedan mit Bewußtsein erlebt hat, der kann nie ganz unglücklich werden.“ 
Wenn Sedan so weit im Raume und in der Zukunft wirkte, wie groß war 
sein momentaner Eindruck! Der Legationsrat Baron Allesina von Schweitzer, 
von 1864 bis 1871 badischer Ministerresident in Florenz, später der 
Deutschen Botschaft in Rom zugeteilt, wo wir 1874/75 Kollegen waren, 
erzählte mir, er sei am Tage nach Sedan ohne Absicht unangemeldet bei 
dem italienischen Minister des Äußern, Visconti-Venosta, eingetreten. Der 
Kanzleidiener hatte Schweitzer irrtümlich statt in das Wartezimmer des 
Ministers in sein Arbeitskabinett geführt. Dort saßen sich Visconti-Venosta 
und der französische Botschafter Baron de Malaret gegenüber. Der erstere 
sah konsterniert aus, der letztere schluchzte. 
Nach den Niederlagen von Wörth und Spichern hatte Kaiser Napoleon 
seinen Vetter, den Prinzen Jeröme, im Scherz Plon-Plon genannt, nach 
Florenz geschickt, um dessen Schwiegervater, den König Viktor Emanuel IlI., 
an die dem französischen Kaiser gegebenen Versprechungen und die ihm 
gegenüber eingegangenen Verpflichtungen zu mahnen. Der König hielt 
seinen Eidam mehrere Tage hin. Als dieser immer dringender wurde, ließ er 
ihn bitten, abends zu ihm in seine Theaterloge zu kommen. Nach dem 
ersten Akt werde er ihm endgültigen Bescheid sagen. Der Prinz erschien 
pünktlich im Theater. Der erste, der zweite und der dritte Akt gingen vor- 
über, ohne daß sich der König blicken ließ. Endlich vertraute ein Kammer- 
herr dem Prinzen an, daß der König bereits um acht Uhr abends nach 
Aosta abgereist sei, wo er Steinböcke schießen wolle. Als Prinz Jeröme 
wütend antwortete, er werde seinem Herrn Schwiegervater nachreisen, 
entgegnete der Kämmerer achselzuckend, der König empfange, wenn er 
im Hochgebirge jage, niemals Besuch. Als König Viktor Emanuel II., der 
ein großer Souverän war, tapfer und schlau, die Nachricht von Sedan 
erhielt, meinte er: „Pauvre Empereur! Mais fichtre! Je l’ai &Echappe belle.“ 
Wie schwer wird es dem Menschen, sein Ich auszuschalten. ‚‚„Le moi est 
haissable“, hat uns ein großer französischer Denker, Blaise Pascal, ge- 
predigt. Aber wie wenige Menschen handeln danach! Wie wenige sind im- 
stande, ihr egoistisches Wünschen und Wollen, die Regungen ihrer Selbst- 
sucht völlig zu unterdrücken und nur an das große Ganze zu denken. 
Jeröme 
und Viktor 
Emanuel
	        
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