Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Gambetta 
170 „KRIEG BIS ZUM ÄUSSERSTEN“ 
Gewiß stimmte ich aus vollem Herzen in den Jubel über Sedan ein, der 
mich in Bonn umbrauste. Aber der Gedanke, daß ich nun voraussichtlich 
nicht mehr an den Feind kommen würde, beeinträchtigte sehr meine 
patriotische Freude. Ich schrieb an meinen Vater und bat ihn inständig, 
sich bei dem Kommando der Ersatz-Schwadron dafür zu verwenden, daß 
ich auf eigene Kosten und ausnahmsweise sogleich dem Feldregiment nach- 
geschickt würde. Mein Vater schlug mir meine Bitte rundweg ab, was mich 
sehr betrübte. Der stolze Patriotismus der Franzosen sorgte dafür, daß ich 
noch Schlachtfelder kennenlernen sollte. 
Nichts ist für die Erziehung der Deutschen zu nationalem Selbstgefühl 
und realpolitischer Einsicht nachteiliger als die bei uns von Philistern aller 
Bildungsgrade und in allen Stellungen oft gehörte spießbürgerliche Kritik 
des von den Franzosen unter der Führung von Gambetta auch nach Sedan 
geleisteten verzweifelten Widerstandes. In einer berühmten Stelle seiner 
unsterblichen Rede vom Kranze rief Demosthenes nach Chäronea seinen 
Landsleuten zu: ‚Nein, Athener, ihr seid nicht fehlgegangen, als ihr für 
das Heil und die Freiheit der Hellenen allen Gefahren trotztet. Ich schwöre 
es bei unsern Ahnen, die bei Marathon fochten, bei denen, die Platää in 
Schlachtordnung sah, bei den Tapferen, die vor Salamis auf dem Meere 
kämpften. Allen diesen Helden gewährte Athen die gleiche Ehre, gewährte 
es gleichmäßig die Ehre des staatlichen Begräbnisses. Und so war es recht. 
Denn die Pflicht braver Bürger hatten alle erfüllt, das Los des einzelnen 
aber regelten die Götter.“ An diese herrlichen Worte des größten griechischen 
Redners erinnerte in einem nach dem Tode von Gambetta in einem Pariser 
Blatt veröffentlichten Artikel Xavier Charmes, der begabteste von drei 
bedeutenden Brüdern. Der tapfere Widerstand, so schrieb Xavier Charmes 
im Januar 1883, den, von Leon Gambetta geführt, Frankreich nach Sedan 
geleistet habe, gebe den Franzosen das Recht, sich an Austerlitz und Jena, 
an Sebastopol und Magenta zu erinnern und nicht an der Zukunft zu 
verzweifeln. 
Es war ein Akt der Pietät und der Gerechtigkeit, daß nach dem 1918 
von Frankreich erfochtenen Sieg das Herz von Gambetta, der Frankreich 
mit sich gerissen und die „guerre a outrance” proklamiert hatte, im 
feierlichen Zuge nach dem Pantheon übergeführt wurde. Und mit Schmerz 
und Scham sagt sich der Deutsche, wie anders bei uns nach dem Umsturz 
von 1918 die Stimmung weiter, von pazifistischen Schwätzern und 
utopistischen Narren verführter Teile unseres Volkes war. Gewiß: Ge- 
schicktere Staatslenker, als es Bethmann Hollweg und Jagow, Michaelis 
und Kühlmann waren, hätten schon 1915, dann 1916, 1917, selbst noch 
1918 eine Gelegenheit gesucht und wohl auch finden können, zu einem an- 
ständigen Frieden zu kommen. Aber für die Armee, die bis zuletzt focht,
	        
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