Bismarcks
Rund-
schreiben
174 DER DILATORISCH BEHANDELTE VERSUCHER
Kaisers Napoleon und der französischen Regierung befürwortend dem
Grafen Bismarck unterbreitet hatte. Dessen Artikel 3 und 4 lauteten:
„Artikel 3. Seine Majestät der Kaiser der Franzosen wird sich einer
föderativen Vereinigung des Nordbundes mit den Staaten Süddeutschlands,
Österreich ausgenommen, nicht widersetzen, welche Vereinigung auf ein
gemeinsames Parlament basiert werden kann, wobei aber in völligem Maße
die Souveränität besagter Staaten geachtet bleibt. Artikel 4. Seinerseits
wird Seine Majestät der König von Preußen in dem Falle, daß Seine
Majestät der Kaiser der Franzosen durch die Umstände bewogen werden
sollte, seine Truppen in Belgien einrücken zu lassen oder es zu erobern,
Frankreich die Beihilfe seiner Waffen gewähren und ihm mit allen seinen
Land- und See-Streitkräften gegen und wider jede Macht beistehen, die
ihm in diesem Falle den Krieg erklären sollte.““
In einem telegraphierten Erlaß an den Botschafter in London und in
einem Rundschreiben an die diplomatischen Vertreter des Norddeutschen
Bundes vom 28. bzw. 29. Juli 1870 stellte Bismarck weiter fest, daß
Frankreich seit vier Jahren durch Anerbietungen auf Kosten Belgiens
Preußen in Versuchung geführt habe. Im Interesse des Friedens habe er das
Geheimnis über diese Zumutungen bewahrt und sie dilatorisch behandelt.
„Seit Sadowa“, hieß es weiter in dem Rundschreiben vom 29. Juli in einer
für die politische Gesamtauffassung des Grafen Bismarck wie für seine
diplomatische Methode sehr charakteristischen, für jeden Diplomaten und
jeden Staatsmann belehrenden Ausführung, „hat Frankreich nicht auf-
gehört, uns auf Kosten Deutschlands und Belgiens in Versuchung zu
führen. Die Unmöglichkeit, auf solche Anerbietungen einzugehen, war für
mich niemals zweifelhaft; wohl aber hielt ich es im Interesse des Friedens
für nützlich, den französischen Staatsmännern die ihnen eigentümlichen
Illusionen so lange zu belassen, als das, ohne ihnen auch nur mündliche
Zusagen zu machen, möglich sein würde. Ich vermutete, daß die Vernichtung
jeder französischen Hoffnung den Frieden, den zu erhalten Deutschlands
und Europas Interesse war, gefährden würde. Ich war nicht der Meinung
derjenigen Politiker, welche dazu rieten, dem Kriege mit Frankreich
deshalb nicht nach Kräften vorzubeugen, weil er doch unvermeidlich sei.
So sicher durchschaut niemand die Absichten göttlicher Vorsehung be-
züglich der Zukunft. Und ich betrachtete auch einen siegreichen Krieg an
sich immer als ein Übel, welches die Staatskunst den Völkern zu ersparen.
bemüht sein muß. Ich durfte nicht ohne die Möglichkeit rechnen, daß in
Frankreichs Politik und Verfassung Veränderungen eintreten könnten,
welche beide große Nachbarvölker über die Notwendigkeit eines Krieges
hinweggeführt hätten, eine Hoffnung, welcher jeder Aufschub des Bruches
zugute kam. Aus diesem Grunde schwieg ich über die gemachten