Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

GEHEIMVERHANDLUNGEN 175 
Zumutungen und behandelte dieselben dilatorisch, ohne meinerseits jemals 
auch nur ein Versprechen zu machen.“ 
Mit gutem Grunde hatte Bismarck seine Enthüllungen über die fran- 
zösischen Pläne gegen Belgien in eine große englische Zeitung gebracht. 
Die Aufrechterhaltung der belgischen Selbständigkeit war für die eng- 
lischen Staatsmänner ein altes Axiom. Selbst ausgesprochene Pazifisten wie 
John Bright, Cobden und Gladstone hatten wiederholt erklärt, daß der 
Fortbestand eines neutralen, unabhängigen und selbständigen Belgien eine 
Lebensfrage für England sei, daß hierfür England nötigenfalls fechten 
müsse und tatsächlich gegen Napoleon I. zwölf Jahre lang gefochten 
habe. ‚‚C’est pour Anvers que je suis ici“, hatte Napoleon auf Sankt Helena 
melancholisch geäußert und gemeint, es sei an und für sich verständlich, 
daß England eine Besitzergreifung Belgiens durch eine andere Macht nicht 
zulassen wolle. „Anvers dans les mains d’une autre puissance serait un 
pistolet braqu& sur l’Angleterre.“ Diese melancholische Reflexion des 
gestürzten Weltenstürmers hätten in Deutschland während des Weltkrieges 
diejenigen beherzigen sollen, die für die Annexion der flandrischen Küste 
agitierten, die ohne einen unübersehbar langwierigen und schwierigen 
Kampf gegen England gar nicht denkbar war. 
Das Bismarcksche Rundschreiben vom 29. Juli 1870 enthält auch eine 
prägnante und durchschlagende Abfertigung der Toren, die nach dem Welt- 
krieg behaupteten, daß wir in dem halben Jahrhundert zwischen dem 
Frankfurter Frieden und der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand 
diesen oder jenen Anlaß hätten benützen sollen, um den doch unvermeid- 
lichen Konflikt mit Rußland, Frankreich und England baldmöglichst aus- 
zufechten. Der Eindruck der von Bismarck in die „Times“ gebrachten 
Enthüllungen auf die Engländer war sehr stark und für uns um sonützlicher, 
als, von den Sympathien namentlich der Upper ten thousand für Paris und 
la belle France ganz abgesehen, zwischen den beiden Kabinetten, wie ich 
ausführte, seit einem halben Jahrhundert bisweilen intime, im großen und 
ganzen trotz gelegentlicher Reibungen freundschaftliche Beziehungen 
bestanden hatten. 
Wie war es Bismarck gelungen, den Benedettischen Vertragsentwurf 
in die Hand zu bekommen und namentlich ihn in der Hand zu behalten? 
Graf Vincent Benedctti, seit 1864 französischer Botschafter in Berlin, hatte 
sich vor seiner Entsendung nach der preußischen Hauptstadt als Sekretär 
des Pariser Kongresses und als Gesandter in Turin das besondere Wohl- 
wollen des Kaisers Napoleon erworben. Er war seit seiner Turiner Zeit auch 
bei dem Prinzen Napoleon gut angeschrieben und gehörte zu den Intimen 
der Prinzessin Mathilde Bonaparte. Er war ein ehrgeiziger und geriebener 
Korse, der aber bisweilen die oft zitierte goldene Regel vergaß, die der Fürst 
Benedetti 
ist 
unvorsichtig
	        
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