176 EIN SCHRIFTSTÜCK WIRD PHOTOGRAPHIERT
der Diplomaten, Talleyrand, seinen Sekretären einzuschärfen liebte:
„Surtout pas trop de zele.““ Benedetti wußte, wieviel seit Sadowa seinem
Souverän an „Kompensationen“ für Frankreich lag. Er glaubte, daß solche
Entschädigungen von Preußen leichter in Belgien als auf dem deutschen
linken Rheinufer zu erreichen sein würden, und sah deshalb in Belgien das
geeignetste Objekt für eine Transaktion mit Preußen. Er hatte ın Turin
gesehen, daß Piemont die Unterstützung Frankreichs bei der Einigung
Italiens mit Savoyen und Nizza bezahlt hatte. Warum sollte nicht auch
Preußen für die französische Zustimmung zur Einigung Deutschlands
einen Tribut entrichten, noch dazu mit nicht-deutschem Land? Als Bene-
detti in jeder Unterredung mit Bismarck auf Belgien als ein besonders
geeignetes Kompensationsobjekt zurückkam, ließ der preußische Minister
im natürlichen Ton angeregter Konversation die Bemerkung fallen, es
würde ihm das eigene Durchdenken der ganzen Kompensationsfrage und
die Erörterung derselben mit seinem alten Herrn wesentlich erleichtern,
wenn Benedetti die richtige Formulierung für die ihm vorschwebende
Transaktion selbst vorschlüge, zumal niemand eine solche besser finden
könnte als der ausgezeichnete Diplomat, der schon als Sekretär des
Pariser Kongresses seine Gewandtheit im Redigieren betätigt hätte.
Benedetti, beinahe so geschmeichelt wie der Rabe, dem bei Lafontaine der
Fuchs Komplimente macht, übersandte unverzüglich dem preußischen
Minister den gewünschten Vertragsentwurf. Einige Stunden später schrieb
er an Bismarck, die Herren seiner Botschaft hätten ihn darauf aufmerksam
gemacht, daß er ein so vertrauliches Dokument nicht in fremden Händen
lassen dürfe, und deshalb erbitte er seine Aufzeichnungen zurück. Bismarck
ließ Benedetti seinen Entwurf sofort wieder zugehen; aber er hatte das
Schriftstück inzwischen photographieren lassen. Und als er am 25. Juli 1870
das französische Anerbieten in die ‚„‚Times‘‘ brachte, konnte er gleichzeitig
das Faksimile des von Benedetti geschriebenen Vertragsentwurfes über
Belgien erscheinen lassen.
Bismarck brachte in seinem Rundschreiben vom 29. Juli auch frühere
Bündnisvorschläge des Kaisers Napoleon zur allgemeinen Kenntnis, in
denen dieser im Mai 1866 Preußen ein Offensiv- und Defensiv-Bündnis
auf der Basis vorgeschlagen hatte, daß Preußen ‚une reforme fed£rale
dans le sens prussien“ und Annexionen in Deutschland, ,sept & huit
millions d’ämes au choix“ erhalten sollte, Frankreich aber „‚le territoire
entre la Moselle et le Rhin, sans Coblence ni Mayence comprenant cinq
cent mille ämes de Prusse, la Baviere rive gauche du Rhin, Birkenfeld,
Homburg, Darmstadt, deux cent treize mille ämes“. Nach der fran-
zösischen, übrigens mit der Wirklichkeit nicht ganz übereinstimmenden
Berechnung fast zwei Millionen Seelen.