Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DER BÄRTIGE 177 
Wenn die Veröffentlichung des Benedettischen Vertragsentwurfes auf 
Belgien selbst, auf England und die Welt berechnet war, so konnten aus 
den französischen Vorschlägen vom Mai 1866 süddeutsche Minister ä la 
Dalwigk und süddeutsche Volksvertreter a la Jörg ersehen, daß sie nicht 
allein vaterlandsverräterisch, sondern auch sehr töricht gesprochen und 
gehandelt hatten. Nichts wäre übrigens abwegiger, als Bismarck einen 
Vorwurfdaraus zumachen, daßer Benedettiund dessen Meister Napoleon III. 
überlistete, statt sich von ihnen überlisten zu lassen. Der Landmann hat 
das Recht, dem Fuchs, der ihm seine Hühner und seine Gänse erwürgen 
will, eine Falle zu stellen. Als er in Bismarcks Falle zappelte, verlegte sich 
der Fuchs Benedetti auf das Lügen. Aber er log ungeschickt. In einem 
an Gramont gerichteten weinerlichen Rechtfertigungsschreiben erklärte 
Benedetti: Bei seinen Unterredungen mit dem preußischen Minister des 
Äußern sei er, um sich ein genaues Bild von den Bismarckschen Kom- 
binationen zu geben, aus Höflichkeit darauf eingegangen, sie sozusagen 
unter Bismarckschem Diktat aufzuzeichnen. 
Damals lachte Europa über Benedetti und Gramont, heute aber lacht 
der Deutsche nicht, wenn er sich den Unterschied zwischen 1870 und 1914 
klarmacht. Im Hochsommer 1870 waren souveräne diplomatische Meister- 
schaft, Vorsicht, Umsicht, Voraussicht, Entschlossenheit und Geduld, 
Energie und Gewandtheit auf unserer Seite, während die französischen 
Diplomaten versagten. Vierundvierzig Jahre später manövrierten unsere 
Staatslenker und Diplomaten, Bethmann Hollweg und Jagow, Schön und 
Flotow, Lichnowsky und Wilhelm Stumm, so eminent ungeschickt, daß 
unsere Gegner Iswolski und Sasonow, Sir Edward Grey und Sir Edward 
Goschen, Poincare, Pal&ologue, Viviani, von denen keiner auch nur entfernt 
an die Bismarcksche Überlegenheit heranreichte, doch, indem sie aus unseren 
Fehlern Nutzen zogen, uns in aller Augen ins Unrecht setzten und damit, 
schon bevor der erste Kanonenschuß gefallen war, vor der öffentlichen 
Meinung den Krieg gewannen. 
Mitte Oktober folgte ich einer Einladung meiner Eltern, den Geburtstag 
meiner lieben Mutter, den 18. Oktober, im Berliner Familienkreise zu 
verleben. Mein Vater war mit meinem Aussehen zufrieden, und 
Professor Traube meinte, mein Hals, der Locus minoris resistentiae bei mir, 
habe die Rekrutenzeit besser überstanden, als er angenommen habe. Unter 
den Linden begegnete ich Herbert Bismarck, der infolge eines Beinschusses, 
den er bei Mars-la-Tour erhalten hatte, noch lahmte. Er ging am Arm eines 
bärtigen Mannes, dessen scharfe, fast stechende Augen mir auffielen und 
der zwölf bis vierzehn Jahre älter sein mochte als Herbert und ich. Herbert 
machte uns bekannt: „Hier Bernhard Bülow, ein Sohn des mecklen- 
burgischen Gesandten, eines Mannes, von dem mein Vater viel hält! Hier 
12 Bülow IV 
Eine 
Begegnung 
in Berlin
	        
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