Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Im Hause 
Bismarck 
178 „OTTOCHEN“ 
Baron Fritz von Holstein, unser treuster Freund!“ Es war das erstemal 
in meinem Leben, daß ich Holstein begegnete. Ich habe ihn noch oft 
wiedergesehen. Ich habe ihn als intimen Freund und Berater von Herbert 
Bismarck gekannt und als Todfeind des Hauses Bismarck. Ich habe fast 
vierzig Jahre später an seinem Sterbebette gestanden. 
Am Tage meiner ersten Begegnung mit Holstein war ich bei der Fürstin 
oder vielmehr damals noch der Gräfin Johanna Bismarck zum Essen 
eingeladen. Sie und ihre Tochter Marie begrüßten mich in gütiger, herzlicher 
Weise. Die Frau Bundeskanzler war geradeso natürlich, unbefangen und 
behaglich wie in der Frankfurter Zeit, ohne eine Spur von Pose. Sie redete 
mir und ihrem Sohne Herbert beständig zu, dem sehr reichlichen Mahle 
und dem guten Bordeaux fleißiger zuzusprechen. Essen und Trinken halte 
Leib und Seele zusammen, heiße es in ihrer pommerschen Heimat, und daß 
der Bordeaux das natürliche Getränk der Norddeutschen sei, habe 
„Ottochen“ erklärt, der immer recht habe. Er habe auch jetzt recht, wenn 
er auf härtere Kriegführung dringe. Sie sprach, wie die Frauen der Goten 
und Franken gesprochen haben mögen, wenn das Kriegshorn geblasen war. 
Kein Stein dürfe in Frankreich auf dem andern bleiben. ‚„Ottochen‘“ habe 
nur einen Fehler, er sei viel zu gut. Es sei auch ein Skandal, daß 
„Auguste“, d. h. Ihre Majestät die Königin, für welche die Gräfin 
Johanna ebensowenig eingenommen war wie ihr großer Gatte, dem Kaiser 
Napoleon neun Köche nach Wilhelmshöhe geschickt habe, um ihm seine 
Gefangenschaft zu versüßen. Bei Wasser und Brot hätte man ‚,.den alten 
Ekel‘ einsperren sollen, der die Schuld daran trage, daß Herbert noch lahm 
gehe, daß Billchen sein bestes Pferd unter dem Leib erschossen worden 
sei und daß so viele deutsche Mütter und Witwen in Schwarz gingen. 
Dazu sang Herbert, von dem vorzüglichen Medoc animiert, mit lauter 
Stimme sein Lieblingslied, das Scheffelsche Lied von dem Schwabenherzog 
Krock, der auszog aus Böblingen, um im Gallierland alles zu verrujinieren. 
Marie von Bismarck war ein Wesen von großer Herzensreinheit und 
Herzensgüte. Als Kinder spielten wir zusammen in dem Frankfurter 
Garten meiner Eltern, wo die Mirabellenbäume standen und von wo aus 
man auf die städtischen Anlagen blickte. Ohne schön zu sein, hatte Marie 
Bismarck klare und kluge Augen, reiches dunkles Haar. Sie war damals 
schlank und hübsch gewachsen. In ihrem Wesen war sie ebenso natürlich 
wie die Mutter, aber im Gegensatz zu dieser suchte sie den gewaltigen Vater 
eher zu besänftigen, als seine ohnehin nicht geringe Neigung zu Haß und 
Zorn noch zu verstärken. Marie Bismarck hat wissentlich niemandem 
geschadet und manchem im Rahmen ihres bescheidenen Einflusses gütig 
geholfen. Mir war sie stets eine treue Freundin. Hierzu ein kleiner Zug. Ich 
entsinne mich eines Abends, an dem ich nach einem Rendezvous mit einer
	        
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