Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Mit Meldung 
vom 
Regiment 
Bülow soll 
Avantageur 
werden 
186 DER RAUHE LENTZE 
einer besonders kalten Novembernacht trat ich nach einem langen Ritt im 
Schneegestöber bei dem Generalstabsoffizier der 15. Division, dem Major 
Lentze, um Mitternacht mit einer Meldung vom Regiment in die Stube. 
Der Major las die Meldung, dann sagte er zu mir: „Sie haben einen langen 
und beschwerlichen Ritt hinter sich. Es wird zwei bis drei Stunden dauern, 
bis ich Sie abfertigen kann. Ziehen Sie sich die Stiebeln aus, legen Sie sich auf 
mein Bett und schlafen Sie einen Abzug.“ Ich entgegnete in strammer 
Haltung mit jugendlichem Eifer, daß ich mich nicht müde fühlte. „Unsinn!“ 
fuhr mich der Major an. ‚So schlafen Sie wenigstens auf Vorrat. Schlaf 
kann ein junger Mensch immer brauchen.“ Er gab mir ein Glas Wein zu 
trinken, drückte mir ein Butterbrot mit Käse in die Hand, und dann 
schlief ich, bis er mich weckte. Beim Erwachen bekam ich noch ein Glas 
Wein und noch ein Butterbrot, diesmal mit Wurst. Er frug nach meinem 
Namen und unterhielt sich gütig und belehrend mit mir über die militärische 
Lage, dann entließ er mich gestärkt und sehr dankbar. Wir haben uns erst 
viele Jahre später wiedergesehen, im Königlichen Schloß in Berlin, er als 
Kommandierender General, ich als Reichskanzler. Als wir uns begegneten, 
waren wir sehr erfreut und gaben unseren Gefühlen lebhaften Ausdruck. 
Erstaunt beobachtete der Kaiser dieses Schauspiel. „Ich wußte zwar“, 
sagte er zu mir, „daß Sie ein großer Charmeur sind; aber daß Sie den rauhen 
Lentze so kaptivieren würden, das hätte ich nicht gedacht.“ Hierzu muß 
ich bemerken, daß der General Lentze das war, was der Franzose „un 
bourru bienfaisant‘“ nennt. Er galt für grob. Aber unter der derben Hülle 
schlug ihm, wie er dies dem ihm unbekannten jungen Husaren bewiesen 
hatte, ein goldenes Herz. Er war einer der fähigsten Generäle unserer 
prächtigen Armee. Auch der Führer der 30. Infanterie-Brigade, der General- 
major von Strubberg, hat mich im Winterfeldzug 1870/71 bei dienstlicher 
Berührung immer besonders gut behandelt, wofür ich dem würdigen 
General, der aus dem Augusta-Regiment hervorgegangen war und Kaiser 
Wilhelm I. nahegestanden hatte, stets dankbar geblieben bin. Auch ihn 
habe ich, als ich Reichskanzler geworden war, öfters wiedergesehen. 
Der 9. November 1870 war ein bedeutungsvoller Tag in meinem Leben. 
Der Regimentskommandeur, Oberst von Lo&£, ließ mich kommen. Er sagte 
mir zunächst, ich sei ihm von Bonn aus von meinen dortigen Vorgesetzten 
warm empfohlen worden. Dieser Empfehlung hätte ich seitdem Ehre 
gemacht, die starken Märsche durch die Defileen des Argonnerwaldes hätte 
ich gut ertragen, die mir gewordenen Aufträge intelligent und couragiert 
ausgeführt. Ob ich Lust hätte, beim Königshusaren-Regiment als 
Avantageur einzutreten? Dazu müsse ich die Einwilligung meines Vaters 
beibringen. Ich entgegnete, es sei mein höchster Wunsch, im Königs- 
husaren-Regiment Offizier zu werden. Ich hoffte, mein Vater würde seine
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.