Varennes
188 IN DER CHAMPACGNE
marschieren wir über hügeliges und waldiges Terrain, übrigens immer mit
Avantgarde usw., wegen der vielen Franktireurs. Da ich keine Karte habe,
ahne ich nicht, wo wir eigentlich sind, ich denke in den Argonnen. Unsere
Direktion soll Reims sein. Die Bauern, bei denen requiriert wird, jammern
sehr. Sie tun einem wirklich leid, aber es ist ja nichts zu machen. Ich habe
in Bonn keine Zeit gehabt, mich photographieren zu lassen. Könnt Ihr
nicht nach meinem Kabinettbild ein halbes Dutzend Photographien
machen lassen und eine davon der Komtesse Bismarck mit meinen besten
Empfehlungen und Grüßen überweisen? Da sie mich mehrere Male
darum angegangen hat, wäre es unhöflich, keine Demonstration zu
machen. Bitte, entschuldigt die Eiligkeit meines Briefes. Ich bin im Bett,
in das ich mich gelegt, um meine Kleider zu trocknen. Tausend Grüße an
alle. Bitte, schickt mir recht bald die schriftliche Einwilligung auf so-
genanntem Zettel!! Ich kann Dich nur aufs dringendste darum bitten.
Bitte, laß Mama sich nur nicht um mich ängstigen. Ich bin vernünftig,
fühle mich wohl, habe sehr guten Mut. Für das übrige muß der liebe Gott
sorgen. Euer treuer Sohn Bernhard von Bülow.“ Am 11. November schrieb
ich aus dem Marschquartier Bercieux (Marne): „Liebe Eltern, bitte,
schickt mir umgehend die schriftliche Einwilligung etwa in der Fassung:
‚Ich erteile meinem Sohn B. auf seinen Wunsch die Erlaubnis, als Avantageur
beim Königshusaren-Regiment einzutreten.‘ Ich muß durch Stoltzenberg
und Schlichting dem Oberst gut empfohlen worden sein, da er mir vor-
schlug, was andere nur mit vieler Mühe oder gar nicht erreichen können.
Wir marschieren jetzt sehr scharf, heute bei unaufhörlichem Schnee-
gestöber, das aber am Ende noch besser ist als der gestrige Regen. Unser
Zug war Seiten-Detachement, und wir passierten zwei Stunden lang dicht
bewaldete Gebirgszüge auf sehr schlechten Wegen. Wir sind jetzt in der
Champagne. Bercieux ist ein reiches Dorf, das sehr gegen die erbärmlichen
lothringischen Nester absticht. Wir passierten Varennes, wo Louis XVI
auf seiner Flucht angehalten wurde. Wir spitzen uns alle sehr auf den
Champagner, der in Epernay und Reims nur drei Francs die Flasche kosten
soll. Er wird sich aber wohl seit der ersten Zeit verteuert haben. Ich fühle
mich unberufen sehr wohl. Mein Pferd ist ziemlich strapaziert. Tausend
Grüße an alle. Ich bin sehr begierig auf Nachrichten von Euch. Bitte,
schickt mir recht bald den Erlaubnisschein! Vielleicht auch eine kleine
Eß-Sendung. Nochmals tausend Grüße. Euer treuer Sohn Bernhard
von Bülow.“
Deutlich steht mir Varennes an jenem Novembertag des Jahres 1870
vor Augen. Der Regen strömte. Ein großer viereckiger Marktplatz, von
niedrigen Häusern umgeben. Wenige Menschen auf den Straßen, die neu-
gierig und scheu auf die Prussiens blickten. Hier hatte sich achtzig Jahre