DIE PRIMEURS 189
früher das Schicksal des gutmütigsten und unglücklichsten aller Könige, des
Enkels und Nachfolgers von Hugo Capet, von Ludwig dem Heiligen und
Heinrich IV., von Ludwig XIV., dem Grand Roi, erfüllt, das Schicksal
seiner schönen und stolzen Gemahlin, der Kaisertochter Marie Antoinette,
das Schicksal des armen kleinen Dauphin, der später in dem Zarewitsch
Alexej Nikolajewitsch, in dem kaiserlichen Prinzen Louis Napuleon und
dem Erzherzog Rudolf Leidensgenossen finden sollte, die mit ihm
bezeugen können, daß im Purpur geboren zu sein noch nicht die Anwart-
schaft auf ein glückliches Lebenslos bedeutet.
Am 15. November meldete ich sehr beglückt meinen Eltern: „Gestern
hat mich der Herr Oberst zum Gefreiten gemacht. Damit ist so weit
entschieden, daß ich übertrete, da ich es als Freiwilliger erst im neunten
Monat geworden wäre. Auch so ist es sehr früh, da eigentlich nur die Dienst-
zeit als Avantageur gerechnet wird. Bitte, schickt mir recht bald den
Erlaubnisschein !““ Die Beförderung zum Gefreiten war mein erstes Avance-
ment. Dieser bescheidene Sprung machte mir viel Spaß. Meine Freundin,
Missy Durnow, die geistreiche Tochter der Oberhofmeisterin der Kaiserin
Maria Feodorowna, der Fürstin Helene Kotschubey, pflegte zu sagen: „Les
petits pois quine vous disent rien dans la saison desl&gumes, vous enchantent
comme primeurs.“ Das gilt überall. Ich war sehr vergnügt, als ich mir den
Gefreiten-Knopf annähte.
Am 17. November schrieb ich aus Betheny bei Reims: ‚Gestern mar-
schierten wir hierher. Wir liegen ganz nah bei Reims. Die Stadt nimmt sich
von hier sehr malerisch aus, vor allem die Kathedrale.“ Die schöne Ge-
schichte des zweiten französischen Kaiserreichs von Pierre de la Gorce
endigt mit der Besetzung von Reims, der alten französischen Krönungsstadt,
durch die Deutschen. Gorce schließt mit den Worten: „Le soir les soldats
allemands se repandirent dans la nef, et on les vit, les uns en curieux, les
autres en devots, passer et repasser devant l’autel, oü Jeanne d’Arc avait
deploye son €etendard, oü les rois de France avaient Et& sacr&s.““ Unter
diesen Besuchern der Kathedrale von Reims befand sich auch der Gefreite
von Bülow, der das herrliche Bauwerk nicht nur en curieux, sondern en
devot besuchte, voll Ehrfurcht für die zum Himmel strebende Kraft und
Reinheit des Glaubens, der im Mittelalter dieses herrliche Gotteshaus schuf.
Nach viertägigem, mühsamem Marsch durch einen Landstrich, wo
erhöhte Sicherheitsmaßregeln eintreten mußten, denn die Bevölkerung
zeigte sich in der Erwartung auf ein baldiges Vorrücken der französischen
Nordarmee unruhiger und störrischer als bisher, so daß wir in allen größeren
Ortschaften die vorhandenen Waffen abnahmen und vernichteten. erreichten
wir Compietgne. Wenn Reims wie keine andere französische Stadt die
längst versunkene Größe des alten königlichen Frankreich verkörpert, so
Beförderung
zum Gefreiten
In der
Kathedrale
von Reims
Compiegne