Einzug in
Rouen
194 MOBILGARDE
ich einen Hahn gekapert, der schon brät. Heute waren wir acht, gestern
vierzehn Stunden im Sattel, dabei stets in Bewegung. Ich fühle mich dabei
sehr wohl. Wir sind fünf Meilen von Rouen, schon in der Normandie. Unser
Regiment hat die Avantgarde. Die Franzosen kneifen aber immer. Tausend
Grüße und beste Wünsche, liebste Eltern, an alle. Gott gebe uns ein recht
fröhliches Wiedersehen. Euer treuer Sohn Bernhard.“
Am 4. Dezember überritt unsere Schwadron überraschend zwischen
Buchy und Rouen auf steinhartgefrorenem, scholligem Ackerboden im
Galopp einen größeren Haufen abziehender französischer Infanterie und
zwang sie zur Waffenstreckung. Am 5. Dezember, einem herrlichen, kalten
und klaren Wintertage, ging unser etatsmäßiger Stabsoffizier, Major
Dincklage, im Regiment nicht beliebt, weil seine etwas steife hannöverische
Art nicht zu dem rheinischen Naturell der Königshusaren paßte, aber ein
tüchtiger Soldat, mit der 1. und 2. Eskadron zur Rekognoszierung gegen
Rouen vor. Schon vor Rouen deuteten Barrikaden und frisch auf-
geworfene, z. T. noch nicht vollendete Schanzen darauf hin, daß die Stadt
erst seit ganz kurzer Zeit verlassen sein konnte und daß eine ernstliche
Verteidigung beabsichtigt worden war. In einer der Schanzen fanden wir
sechs Positionsgeschütze, die wir für das Regiment in Besitz nahmen. Wir
griffen eine Anzahl Mobilgardisten auf. Einer von ihnen hatte die franzö-
sische Liebenswürdigkeit, mir, während ich ihn am Kragen hielt, um ihm
das Auskneifen unmöglich zu machen, Komplimente über mein gutes
Französisch zu machen: „Monsieur parle le francais sans accent, je lui en
fais mon compliment.‘“ Einer der gefangenen Mobilgardisten entlief uns
an einer Straßenecke. Der ihn eskortierende Husar parierte ruhig sein
Pferd, legte den Karabiner an und schoß ihn auf etwa dreißig Schritt nieder.
In der Vorstadt Darnetal angelangt, ließ der Major Dincklage den Maire
des Ortes kommen. Dieser erklärte, daß er für die Ruhe des anständigen
Teiles der Bevölkerung einstehe. ‚Mon Colonel, les bons citoyens sont sages
et tranquilles, ici comme partout. Mais je ne puis r&pondre de la canaille.
Ilyaici plusieurs fabriques et par consequent beaucoup d’ouvriers. Ceux-ci
ont commis des exces apres le depart des troupes francaises. Ils sont bien
capables d’en commettre encore si vous continuez votre marche.“ Major
Dincklage setzte trotzdem mit seinen sechs Zügen seinen Marsch fort.
Um ein Uhr rückten wir in Rouen ein. Um zwei Uhr hielten wir auf der
Place Napoleon, umringt von einer heulenden, gestikulierenden und
schimpfenden Volksmenge, die aber nicht zu Tätlichkeiten überzugehen
wagte. Der große Korse, dessen Reiterstatue auf diesem Platz steht, sah
verächtlich und stolz auf die Massen herab. Als nach einer kleinen Stunde
das 70. Regiment vor dem Rathaus aufmarschierte, verlief sich der Pöbel.
Zwei Schwadronen Königshusaren hatten die Hauptstadt der Normandie