Die Franzosen
an der Somme
198 DER MANGELHAFT UNTERRICHTETE AVANTAGEUR
auch unterdessen, aber in einem niederträchtigen Nest, wo wir zwei Tage
in einem Ziegenstall zu dreien auf Stroh lagen. Montdidier ist eine etwas
größere Stadt. Die Bevölkerung ist seit einiger Zeit sehr aufsässig, da sie
glaubt, wir wären auf dem Rückzug und unsere Armee vor Paris sei ver-
nichtet. Es treiben sich in der Umgegend viele Franktireurs herum. Mont-
didier ist übrigens eine ganz nette kleine Stadt, mit zwei hübschen Kirchen.
Amiens soll wieder von den Franzosen besetzt sein. Laßt Euch wenigstens
Weihnachten nicht noch durch den Gedanken an mich betrüben, denn es
geht mir Gott sei Dank sehr gut.“ Zur Erheiterung meiner melancholischen
Eltern hatte ich meinem Briefe zwei in Moulinot gekaufte französische
Pampblete beigelegt: „Nous allons taper sur le Prussien“ und „Je ne vou-
drais pas &tre dans la peau d’un Prussien“.
Am 20. Dezember schrieb ich aus Montdidier: „Liebe Eltern, Eure
Zigarren-Briefe sind herrlich. Bitte, schickt mir bei Gelegenheit eine militä-
rische Halsbinde. Das Wetter ist milde und schön. Wir hatten heute Ruhe-
tag. Für die nächste Zeit ist nichts zu erwarten, da die Nordarmee unter
Faidherbe Schwindel ist. Tausend Grüße an alle. Euer treuer Sohn Bern-
hard von Bülow.‘ Mit diesem drei Tage vor der Schlacht an der Hallue
geschriebenen Briefe lieferte der Avantageur von Bülow den Beweis, daß
er über die militärische Gesamtlage nur mangelhaft orientiert war. Vielleicht
wollte ich aber meine gar zu ängstlichen Eltern beruhigen.
Am 21. Dezember schrieb ich aus Cayeux: „Gestern sollten wir eigentlich
Ruhetag haben. Ich war schon bestimmt, eine Patrouillenach Roi zu führen.
Morgens kam aber der Befehl zum Ausrücken, und der Zug des Leutnants
Erffa, in dem ich jetzt reite, kam mit zwei Kompagnien Fünfundsechzigern
hierher. Die Quartiere sind hier brillant, wir aßen und tranken nach Herzens-
lust. Im Dorf liegt ein Schloß, das einem Marquis Doria gehört. Heute ritt
ich zur Eskadron und von da zur Division und zur Brigade. Oberst von Bock,
unser jetziger Brigadier, lud mich zum Frühstück ein und war sehr freund-
lich zu mir. Heute abend ist der Leutnant Erffa mit zwei Dritteln des
Zuges nach dem zwei Kilometer entfernten Ayencourt gegangen, um den
dortigen Zug des Leutnants Knesebeck zu verstärken. Wir sind hier im
Alarmzustand, die arme Infanterie muß auf Feldwache biwakieren. Morgen
wird es hoffentlich etwas geben. Die Franzosen haben die Somme-Über-
gänge besetzt. Es heißt, sie sollen von allen Seiten umzingelt und dann ab-
gefangen werden. Amiens ist übrigens von den Franzosen geräumt und
wieder von uns besetzt. Tausend Grüße an alle, tausend Wünsche für Weih-
nachten und Neujahr. Zigarren-Briefe erfreuten mich außerordentlich.
Bitte, schickt mir bei Gelegenheit eine militärische Halsbinde. Euer treuer
Sohn Bernhard von Bülow.‘ Der damalige Leutnant von Erffa war mir
persönlich ein guter Kamerad, hat aber während meiner Kanzlerzeit als