DER ALTE WRANGEL 215
herrschenden Parteien, Sozialdemokratie, Zentrum und Demokratie, ihre
Leute unterbringen und das begründen wollten, was der Franzose so hübsch
„la Republique des camarades“ nennt, schwoll das Preßbüro aufein Personal
von mehr als zweihundert Köpfen an. Die bescheidenen Räume des
Auswärtigen Amtes genügten natürlich nicht für einen solchen Schwarm,
und es wurde das Preßbüro in dem großen Palais des Prinzen Karl am
Wilhelmsplatz untergebracht, wo die Herren ihre Tage mit Zigaretten-
rauchen und Kannegießern nützlich verbrachten. So weit meine Er-
innerungen zurückreichen, ist unsere Presse nie schlechter geleitet und
unsere Auslandspropaganda nie ungeschickter betrieben worden als in den
ersten Jahren des republikanischen Volksstaats.
„Der junge Wrangel‘, wie ich ihn in meinem Brief an meine Eltern
nannte, war der Enkel des Feldmarschalls. Es gab nichts Verschiedeneres
als den alten und den jungen Wrangel. Der alte war der Reorganisator der
preußischen Kavallerie, um die er sich unvergängliche Verdienste erworben
hat, ein Haudegen, der schon 1807, als Leutnant im L’Estocgschen Korps,
bei Heilsberg den Orden pour le m£rite erhalten, sich im Befreiungskriege
als Oberst bei Großgörschen und Leipzig hervorgetan hatte und der noch
sechzig Jahre später in der Schlacht von Trautenau auf die Österreicher
mit einhauen wollte. Unter derber Hülle verbarg er viel gesunden Menschen-
verstand. Seine bisweilen in komischer Form abgegebenen Urteile trafen
nicht selten den Nagel auf den Kopf. Er hat in den Novembertagen von
1848 als Gouverneur von Berlin und Oberbefehlshaber in den Marken
gegenüber der Revolution mehr Umsicht und vor allem mehr Energie an
den Tag gelegt als siebzig Jahre später Prinz Max von Baden und, unter
dessen Einfluß, leider auch der Generaloberst von Linsingen. Der junge
Wrangel war zart, unendlich höflich, etwas banal. Er tat Dienst als
Kammerjunker beim Königlichen Oberzeremonienamt, und man nannte
ihn den Zeremoniensäugling. Er war ein guter und feiner Mensch. Er ist in
jungen Jahren gestorben, nachdem er in der letzten Zeit seines Lebens in
schließlich unheilbare Melancholie verfallen war. Meine Eltern bewohnten,
wie ich schon erwähnt zu haben glaube, in den Jahren vor und nach
dem Deutsch-Französischen Kriege das damalige Arnimsche Palais. In un-
mittelbarer Nähe hatte, auch am Pariser Platz, der Feldmarschall
Wrangel seine Dienstwohnung. Als Freund des jungen Gustav Wrangel
habe ich vor dem Kriege als Student, später als Husarenleutnant, manchen
Abend dort verlebt.
Ich habe nicht die Absicht, die Zahl der Wrangel-Anekdoten um neue
zu vermehren. Nur zwei gestatte ich mir anzuführen, weil sie weniger be-
kannt sind. Ein mehr durch schönes Äußeres und forsches Auftreten als durch
wirkliche Tüchtigkeit ausgezeichneter Berliner Regimentskommandeur
Gustav
v. Wrangel