Paris kapitu-
liert, Waffen-
stillstand
236 VOR PARIS.WAS NEUES
In den nächsten Tagen wurden wieder viele Patrouillen geritten. Ich
entsinne mich gut einer Patrouille, die ich gegen Arras führte. Die Luft
war in diesen Tagen ganz klar. Deutlich sah ich vor mir den Glockenturm
von Arras, der Heimat von Maximilien Robespierre. Ich erblickte auch
einen Zug von elf bis zwölf Männern, die einen Gefangenen in ihrer Mitte
führten. Landleute, die auf den Feldern arbeiteten und die ich um Auskunft
ersuchte, sagten mir, es handle sich um einen „Traitre‘, der seiner wohl-
verdienten Strafe entgegengeführt werden solle. Die Spionenfurcht und
Spionenriecherei, die sich in Frankreich im Weltkrieg zur Psychose ent-
wickelt hat, grassierte dort schon 1870/71. Die Bauern behaupteten, Arras
sei voll von Truppen. Der General Faidherbe habe dort sein Hauptquartier.
Außer Patrouillen mußten wir Requisitionskommandos stellen. Wirbildeten
auch auf Befehl des Oberkommandos gemischte Detachements, die in den
nach dem Feind zu gelegenen Arrondissements Kontributionen eintrieben.
Es wurden fünfundzwanzig Francs pro Kopf eingetrieben, um auf diese
Weise bei den zum Teil vom Kriege noch gar nicht beschädigten Bewohnern
die Friedensliebe zu fördern. Wir nannten diese Kolonnen die „„Beruhigungs-
kolonnen“. Mit einer solchen Kolonne, die aus einer Batterie, zwei Batail-
lonen und unserer 1. Eskadron bestand, trieb Oberst von Lo& im Kanton
Croissiles hunderttausend Francs ein. Der Ort war nicht imstande, die ge-
forderte Summe gleich zu zahlen, versprach aber, sie binnen drei Tagen ab-
zuliefern, und stellte als Bürgschaft fünf der angesehensten Bürger als
Geiseln. Die hunderttausend Francs wurden innerhalb dieser Frist aus-
gezahlt, und die Geiseln kehrten natürlich in ihre Heimat zurück.
Patrouillen und Requisitionen wurden nach wie vor in hohem Grade
durch die Witterungsverhältnisse erschwert. Trockene Kälte wechselte mit
starken Schneefällen. Die Straßen waren meist spiegelglatt. Am 29. Januar
hieß es, die 15. Division würde bei Doullens konzentriert werden, da der
General von Goeben einen Vorstoß gegen Arras, Abbeville und Boulogne
plane, aber gleichzeitig wurde erzählt, daß das Artilleriefeuer vor Paris
nach einer in Amiens eingetroffenen telegraphischen Nachricht seit der
Nacht vom 26. auf den 27. Januar schweige und daß Unterhandlungen über
den Abschluß eines Waffenstillstandes geführt würden.
Am Morgen des 30. Januar lief von Mund zu Mund die Nachricht, daß
Paris kapituliert habe. Endlich ‚vor Paris was Neues!“ Gleichzeitig ver-
breitete sich die Kunde von dem in Versailles abgeschlossenen Waffenstill-
stand. Unmittelbar nachher erschienen französische Parlamentäre, um über
die Demarkationslinie zu verhandeln. Um, wie er sich ausdrückte, einen an-
genehmen Status quo zu schaffen, befahl General von Goeben das Wieder-
vorschieben einzelner Armeeteile. Am 31. Januar mittags zwölf Uhr trat
der von General Faidherbe anerkannte dreiwöchige Waffenstillstand