Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Drill wie 
in Bonn 
238 STALLDIENST 
nicht besonders gefiel. Aber eine Allerhöchste Kabinettsorder hatte be- 
fohlen, daß das Retablissement der Truppen mit allen nur möglichen 
Mitteln und auf das strengste zu betreiben wäre. Ich schrieb aus Abbeville 
nach Hause: „Abbeville ist ein ganz nettes Städtchen, aber ziemlich triste, 
weniger wegen des Krieges als wegen der sehr stark grassierenden Pocken. 
Ängstigt Euch aber ja nicht deshalb, da ich vor neun Monaten von dem 
berühmten Dr. Blumenthal in Berlin geimpft worden bin. Übrigens sind 
die Pocken in ganz Frankreich verbreitet. Man spricht nur nicht davon. 
Hoffentlich werden sie nicht nach Deutschland geschleppt.““ Nicht lange 
nach der Schlacht von Saint-Quentin wurde ich in einem Bauernhause ein- 
quartiert. Als ich das mir angewiesene Zimmer betrat, sah ich in einem 
zweiten Bett an der gegenüberliegenden Wand einen älteren Mann liegen. 
Auf meine Frage, wer mein Stubengenosse sei, wurde mir die Antwort, daß 
es ein Onkel des Hauses sei, der an Migräne litte. Am nächsten Morgen 
stellte es sich heraus, daß der Arme in der Nacht lautlos verschieden war. 
Er war an den Pocken gestorben. 
Völlig unbekümmert um die in Abbeville und Umgegend herrschende 
Epidemie besichtigte Oberst von Lo& während unseres dortigen Aufent- 
haltes die 2. und 3., Major Dincklage die 1. und 4. Eskadron in allen Details 
wie bei einer ökonomischen Musterung. Obwohl der Oberst in jeder Be- 
ziehung sehr hohe Anforderungen stellte, konnte er seinen Bericht doch mit 
den Worten schließen: „Die Bekleidung des Regiments und die Ausrüstung 
der Mannschaften und Pferde ist im allgemeinen gut und kriegsbrauchbar. 
Der Beschlag ist ein durchweg vorzüglicher zu nennen, und jede Eskadron 
hat einen neuen Beschlag auf den Pferden, einen zweiten in den Eisen- und 
Packtaschen und etwa die Hälfte einer dritten Garnitur Eisen auf den 
Wagen.“ So konnte nach den Tagen der Ruhe das Regiment dem Wieder- 
ausbruch der Feindseligkeiten getrost und zuversichtlich entgegensehen. 
Solche Kleinarbeit war nicht ganz nach dem Sinne der Fähnriche. Dem 
Großfürsten Konstantin Pawlowitsch wird die Äußerung zugeschrieben: 
„Je deteste la guerre, elle gäte les arme&es.‘“ Das war natürlich der höchste 
Ausdruck blöden Gamaschendienstes. Aber gewiß ist, daß unsere Heeres- 
leitung, als sie noch in Feindesland den Friedensdienst wieder aufnahm, 
weiter sah als der junge Fähnrich, der Anfang März brummig an seine 
Eltern schrieb: „Wir werden gedrillt wie kaum in Bonn und kommen gar 
nicht aus der Kaserne. Morgens nach dem Stalldienst (von fünf bis halb 
sieben) wird exerziert (von halb neun bis zwölf), dann mittags Dienst von 
eins bis sieben Uhr, fortwährend Appell, Besichtigung usw. Man würde es 
der Schwadron aber auch schwerlich ansehen, daß sie einen siebenmona- 
tigen Feldzug hinter sich hat. Sonntags gehen wir immer zur Kirche, wo 
der Divisions-Prediger ganz gut spricht.“ Der Schluß meines Briefes war
	        
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