Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DIE PAULSKIRCHE 9 
gesagt, du schautest aus wie ein Affe, und ich habe erwidert, es käme nicht 
auf das Äußere an, sondern auf Fleiß und Betragen.“ Auch auf den Spazier- 
gängen, die mein Vater fast täglich mit mir unternahm, benutzte er jede 
Gelegenheit, um, ohne meine kindliche Unbefangenheit und Fröhlichkeit zu 
beeinträchtigen, mich ambulando zu belehren. Ich sehe noch die Mainzer 
Landstraße vor mir, auf der wir gingen. Wir blieben vor einer kleinen Wiese 
stehen, auf der ein Offizier ein Pferd an der Longe gehen ließ. Um das Tier 
an den Knall der Pistole zu gewöhnen, gab er alle fünf Minuten einen 
Pistolenschuß ab. Mein Vater bemerkte, daß, wenn der Augenblick des 
Schusses sich näherte, ich eine gewisse Nervosität an den Tag legte, beim 
Schuß aber zusammenfuhr. Mit Ernst sagte er mir: „Sei nicht nervös, wer 
nervös ist, bringt es zu nichts. Keep up your nerves, Sir!“ Ich habe seine 
Mahnung nie vergessen. In mehr als einer kritischen Lage, bei stürmischen 
Debatten in den Parlamenten, bei mehr als einer ernsten Unterredung mit 
Wilhelm II., bei großen Entscheidungen, bei schwierigen Situationen 
meines Privatlebens dachte ich an die Worte meines Vaters: „Keep up your 
nerves, Sir!“ 
Ich durfte meinen Vater auch begleiten, wenn er mit anderen Herren 
ging. Gar mancher Spaziergang steigt in meiner Erinnerung auf, den mein 
Vater gemeinsam mit Herrn von Bismarck vor den Toren der alten Reichs- 
stadt Frankfurt unternahm. Wenn ich auch sehr jung war, so verstand ich 
doch wohl wenn nicht jede Einzelheit so doch Gang und Tendenz der Unter- 
redung, die sich häufig um das Jahr 1848 drehte. Die beiden Gesandten 
waren darüber einig, daß die politische Unfähigkeit der Deutschen selten 
oder nie so drastisch zutage getreten sei wie in der Frankfurter Paulskirche. 
Seiner Art entsprechend, gab mein Vater dieser Auffassung in maßvollen 
Worten Ausdruck, ja mit einem Unterton von Mitleid, selbst von An- 
erkennung für den Idealismus der führenden Männer der Paulskirche. Da- 
gegen konnte sich Bismarck gar nicht genugtun in sarkastischer, grausamer 
Verhöhnung und Verurteilung der theoretisierenden Bücherweisheit, des 
unpraktischen Doktrinarismus, des banausischen Spießbürgertums, der 
Philisterhaftigkeit der Achtundvierziger. Ich entsinne mich genau, daß 
Herr von Bismarck einmal den damals von vielen sehr hoch gestellten Hein- 
rich von Gagern einen hohlen Schwätzer, ja (horribile dictu) ein politi- 
sches Kamel nannte. Der einzige Achtundvierziger, den er allenfalls gelten 
ließ, war Robert Blum, der wenigstens den Mut gehabt habe, sich in der 
Wiener Brigittenau erschießen zu lassen. 
Rückschauend will ich nicht bestreiten, daß das Urteil des Gesandten 
von Bismarck über die Männer von 1848 nicht ganz gerecht, daß es zu 
scharf war. Die Absichten der Achtundvierziger waren edel, ihre Ziele viel- 
fach die richtigen. Allerdings stand ihr Können in keiner Weise auf der 
Bismarck und 
1848
	        
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